Die Meister der Am'churi (German Edition)
Drache völlig unbeweglich blieb, sprang er auf und schrie sich all die Verzweiflung von der Seele, die ihn gefangen hielt: „Komm zurück zu mir, oder geh, verdammt! Irgendetwas in dir erinnert sich noch, sonst hättest du mich schon ein Dutzend Mal umgebracht! Nun beweg dich doch endlich!“ Aufschluchzend schlug er mit bloßen Fäusten auf den Drachen ein. Er hätte genauso gut einen Berg schlagen können, er zerschnitt sich die Hände an den rauen Schuppen, während der Drache vermutlich nichts spürte. Die schwarze Kreatur schnaubte, wich einen Schritt zur Seite, was Jivvin aus dem Gleichgewicht brachte und erneut zu Boden fallen ließ. Willenlos blieb er liegen.
Da war etwas. Ein Gefühl von Verlust. Ni’yo betrachtete den Am’churi, der sich so merkwürdig aufführte. Warum hatte er die Fessel fortgenommen? Um was bettelte er weinend? Wollte er sterben? Warum hatte dann er gegen jeden anderen Drachen gekämpft – es schien beinahe, als wolle er nur ihn, Ni’yo, nicht töten.
Aber ich bin doch der abscheulichste Drache unter Arus Himmel! Ich bringe Verderben über alle …
Wieder rief Charur nach ihm.
„ Vernichte endlich diesen Am’churi!“ , befahl der Purpurne. „Sie sind stark und er dort ist der Stärkste von allen. Und dann stell dich mir im Kampf!“
Aber das war doch ich! Ich war der Stärkste … Ni’yo hielt inne, als er spürte, wie die Erinnerung an die Vergangenheit, die er zurücklassen sollte, sich in ihm regte.
Jivvin … , dachte er. Der Mann dort, das war Jivvin. Darum also hatte er ihn nicht töten können.
„Wenn er mich anfleht, zurückzukehren, wenn er sich weigert, mich zu vernichten, dann bin ich ihm nicht gleichgültig“,sagte er zu Charur.
„Wie erbärmlich! Die vergängliche, so verletzliche Liebe eines Einzelnen gegen den Hass der ganzen Welt. Du kannst nicht zurückkehren, Ni’yo! Du hast deine Entscheidung getroffen.“
Diese Worte hätten Ni’yos Wut schüren müssen. Doch da war kein Zorn, kein Hass. Nur dieses Gefühl von Verlust, das nicht ihm gehörte und ihn darum umso mehr verwirrte.
Er schloss die Augen und horchte in sich hinein. Ja, dort war etwas, ähnlich stark wie die magische Kette der Schmiedin. Ein Band das ihn fesselte – oder sicherte?
Ni’yo dachte nicht länger nach, er griff nach diesem Band. Hielt sich innerlich fest, mit all der Macht, die er besaß. Er fühlte, wie Jivvin aufsprang und nach ihm rief, hören konnte er ihn nicht. Seine Vergangenheit überflutete ihn, Jahrzehnte der Einsamkeit, in der Schmerz und Hass, Demütigung, Zurückweisung und Angst die vorherrschenden Empfindungen gewesen waren. Er sah, wie er regelrecht danach gegiert hatte, angegriffen und verletzt zu werden, um der Einsamkeit entfliehen zu können. Er sah Jivvin, der ihm Mitgefühl, Gnade, Freundschaft und zuletzt Liebe geschenkt hatte.
Wie sehr muss er mich verachten für meine Schwäche. Mein Versagen, dachte er.
Wenn er sich Charur stellte, könnte er ihn womöglich verletzen, vielleicht sogar besiegen, und damit den Am’churi helfen, die so hoffnungslos gegen die Übermacht der Drachen kämpften. Jivvin, den er nicht sterben sehen wollte. Die anderen, denen er sich näher fühlte als den Drachen, egal wie hart sie ihn ein Leben lang zurückgewiesen hatten.
Ni’yo wandte den Kopf und beobachtete Perénn, seinen alten Feind. Er schoss Pfeile auf die Drachen. Pfeile, deren Spitzen im besten Fall zwischen die Schuppen glitten. Interessiert verfolgte Ni’yo, wie einer dieser Pfeile im Unterleib eines weißen Drachen stecken blieb.
Das kitzelt doch höchstens … Der Weiße schien noch nicht einmal ein Kitzeln gespürt zu haben, er flog unbeeindruckt weiter. Nach einigen Momenten aber schrie er plötzlich auf, krümmte sich, als wolle er sich selbst in den Bauch beißen und stürzte dann wie ein Stein vom Himmel.
Noch immer ein Meister der Gifte, dachte Ni’yo und begriff nun, warum auch die anderen Drachen schon gefallen waren. Zu viele der Giftpfeile prallten allerdings an den Drachenleibern ab, bald würde Perénn seinen Vorrat verschossen haben.
Charur kreiste über ihm, wartete voller Ungeduld.
Als Drache kann ich ihn bezwingen. Als Am’churi – vielleicht.
Ni’yo blickte zwischen dem Purpurnen und Jivvin hin und her. Hatte er die Wahl? Wenn er dem Band bis zu seinem Ursprung folgte, könnte er dann …?
Jivvin fuhr zusammen, als der schwarze Drache sich plötzlich aufrichtete und brüllte, als wolle er die Berge mit seiner
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