Die Meisterin der schwarzen Kunst
Carolus, um über die strengen Regeln der Zunft im Bilde zu sein. Laurenz würde an einem bestimmten Tag, vermutlich an einem Feiertag, nach den Geboten einer exakt festgelegten Zeremonie vom Gesellen zum Meister erhoben werden. Damit war er berechtigt, eine eigene Werkstatt einzurichten, Gesellen zu beschäftigen und Lehrjungen auszubilden. Die Zunft musste ihm dabei finanziell unter die Arme greifen, sofern seine Vorstellungen tragbar waren. Das Privileg des Meisterbriefes beinhaltete jedoch noch einiges mehr. Ein Meister war an die strengen Regeln, die Gesellen betrafen, nicht mehr gebunden. Er brauchte kein Nadelgeld mehr an die Frau seines Meisters abzuführen, damit sie seine Sachen in Ordnung hielt. Er durfte einen eigenen Hausstand gründen und sich eine Frau nehmen, vorausgesetzt, diese war ehelich geboren und entstammte keiner Familie, die als unehrlich galt.
Sie überlegte. Noch vor wenigen Wochen war es ihr sehnlichster Wunsch gewesen, Laurenz zu heiraten, weil sie sich nach Geborgenheit und Ruhe sehnte. Doch sie war sich der Tatsache bewusst gewesen, dass er sie nicht fragen konnte, solange er noch Geselle war und sich in Meister Carolus’ Haus mit David eine zugige Dachkammer teilte. So war ihr nichts anderes übrig geblieben, als ihre Schwärmerei für sich zu behalten, sich in Geduld zu üben und auf die Arbeit in der Werkstatt zu konzentrieren. Nun aber, da ihr Traum zum Greifen nahe war, war sie keineswegs so glücklich, wie sie es sich immer ausgemalt hatte. Ohne es zu wollen, musste sie an Laurenz’ Verhalten beim Auszug der Kurierreiter denken. Gewiss, er war gekränkt und betrunken gewesen. Immer wieder hatte Henrika sich seitdem einzureden versucht, dass Laurenz nüchtern nie zugelassen hätte, dass sein jüngerer Bruder seinetwegen Ärger bekam. Männer reagieren manchmal so, hatte Emma sie getröstet. Eine Frau darf sich das nicht zu sehr zu Herzen nehmen.
Nun, sie wollte nicht weiter grübeln. Sie wollte ihre Freude über den Erfolg des jungen Druckers zeigen. Immerhin hatte er voller Eifer an seinem Meisterstück gearbeitet, manchmal sogar bis spät in die Nacht, wenn alle anderen im Haus bereits schliefen. Er hatte niemandem verraten, um was es sich dabei handelte, selbst Henrika nicht, die vor Neugier beinahe geplatzt wäre. Aber das war nicht wichtig. Was zählte, war allein das Urteil der Zunftherren, und das schien positiv ausgefallen zu sein.
«Nun, meine Schöne?» Laurenz nahm ihre Hand und berührte die Innenfläche mit den Lippen. Es kitzelte ein wenig und erinnerte Henrika an einen Schmetterling, dessen Flügel zaghaft über ein Blütenblatt streifen.
«Wie würde es der Jungfer Henrika Gutmeister denn gefallen, Meisterin genannt zu werden?»
Henrika versuchte das Lächeln des Druckers zu erwidern, obwohl die Gefühle in ihrer Brust noch immer miteinander im Widerstreit lagen. Sie wagte einen Blick in seine schönen dunklen Augen und fürchtete im gleichen Moment, an ihnen zu verbrennen wie eine Motte, die der Kerzenflamme zu nahe gekommen war.
Verdammt, dachte sie, warum musste Laurenz heute auch so unverschämt gut aussehen? Sein Gesicht war unrasiert, eine Locke fiel ihm lässig in die Stirn, was sein jungenhaftes Aussehen unterstrich. Doch all das war nichts im Vergleich zu Laurenz’ Augen. Sie hatten Henrika fasziniert, seit sie den jungen Mann kennengelernt hatte. Heute strahlten sie so erhaben, dass sie den Wunsch verspürte, in ihren Glanz einzutauchen wie in einem Fluss. Sie stellte sich vor, wie mächtige Wellen über ihrem Kopf zusammenschlugen und sie unter sich begruben. Es war kein Gefühl der Liebe, ja nicht einmal besonderer Zuneigung, das sich in ihr regte. Ihre Empfindung glich vielmehr einem Aufschrei unterdrückten Begehrens.
Sie konnte nur hoffen, dass weder Emma noch Ludwig bemerkten, welcher Kampf in ihr tobte, denn als Ziehkind strenggläubiger Calvinisten hatte man sie von Kindesbeinen an gelehrt, dass Gefühle dieser Art sich für eine Frau nicht gehörten.
Laurenz machte ihr keinen Antrag, der eine sofortige Antwort erforderte. Wozu auch? Seit ihrer ersten Begegnung hatte sie gespürt, dass er sie wollte. Und ihre einzige Aufgabe, so gab er ihr zu verstehen, bestand darin, ihm zu zeigen, wie stolz sie auf ihn war. Eine glückliche Frau.
Sie tat nichts dergleichen. Wortlos sah sie ihn an; es kam ihr vor, als würden Minuten verstreichen. Die Locke, die ihm ins Gesicht fiel, kam ihr mit einem Mal lächerlich vor. Als Nächstes wich die Farbe
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