Die Meisterin der schwarzen Kunst
Name des Mannes hatte sich zu tief in Henrikas Gedächtnis gegraben, als dass sie ihn jemals hätte vergessen oder verwechseln können.
Quinten Marx van Oudenaarde war Barthels Freund gewesen.
Durfte sie es wagen, Emma und Ludwig anzuvertrauen, dass ihr ermordeter Gönner diesem Mann Briefe geschrieben hatte? Briefe, die er nie erhalten und die sie gefunden hatte? Sie hatte Emma und Ludwig nur wenig über Barthel und den Ort, an dem sie aufgewachsen war, erzählt. Einzelheiten hatte sie ausgelassen, weil sie nicht sicher war, wie die beiden Alten diese aufgenommen hätten. Ihre Welt war so einfach, so wohlgeordnet.
Der Baumeister hatte vorgehabt, seinem Vertrauten in der niederländischen Heimat etwas mitzuteilen. Etwas, das Henrika betraf, aber möglicherweise auch das Schicksal ihrer Mutter. Vielleicht war er der Mann, der mehr von Menschen wie ihr verstand oder von der vermaledeiten Gabe, die sie in sich trug. Dann würde er wissen, was es bedeutete, in ständiger Furcht vor Entdeckung zu leben. Er konnte ihr womöglich sogar helfen, sie wieder loszuwerden und ein ganz normales Leben zu führen. Sie würde heiraten, Kinder bekommen und nicht mehr in der Angst verharren, dass sich nachts über ihrem Bett unheilvolle Gedanken zusammenballten, die ihr den Schlaf raubten.
Henrika musste den Flamen aufsuchen. Gewiss würde er nicht abstreiten, Barthel gekannt zu haben. Dass er ausgerechnet jetzt in Straßburg auftauchte, erschien Henrika wie ein Wink des Schicksals, selbst wenn es dafür sicher eine ganz einfache Erklärung gab. Immerhin war Straßburg eine wichtige Reichsstadt, in der der Handel blühte. Möglicherweise waren die Beziehungen des Flamen zu bedeutenden Handelshäusern der Stadt ebenso alt wie die Kontakte, die Barthel zu Carolus unterhalten hatte. Wenn sich die Verbindungen nicht sogar überschnitten.
Nur wenig später band sich Henrika zum Schutz gegen Regen und Kälte einen Wollschal um die Schultern. Sie musste es wagen. Rasch eilte sie in die Wohnstube zurück, wo sie Ludwig und Emma von ihrem Vorhaben in Kenntnis setzte, trotz der späten Stunde noch im Haus des Gerichtsvogts Spielmann vorzusprechen.
Der Wundarzt und seine Frau glaubten ihren Ohren nicht zu trauen.
«Ist dir klar, was du da redest, Mädchen?» Ludwig packte Henrika bei den Schultern und schüttelte sie. Sein Kinn mit dem bereits ergrauten, spitzen Ziegenbart hob sich drohend.
«Habe ich dir nicht vor zehn Minuten erst erklärt, dass du dich bereits verdächtig gemacht hast? Meister Carolus hat Feinde in der Stadt. Mächtige Feinde, von denen er in seiner blauäugigen Begeisterung für sein Werk nichts ahnt.»
«Aber wer sind diese Feinde?»
Ludwig warf ihr einen wütenden Blick zu. «Das geht dich nichts an. Du solltest dir nur merken, dass diese Leute jede seiner Schwächen gnadenlos ausnutzen werden, um sein Unternehmen und das seiner Geldgeber zu zerstören. Bricht sein Genick, so sind auch die ruiniert, die ihm helfen.» Er wollte mit seiner faltigen Hand Henrikas Wange berühren, doch trotz der versöhnlichen Geste wich sie zurück.
«Ich weiß ja, dass du auch in Mannheim ähnliche Erfahrungen machen musstest, als du für diesen Baumeister gearbeitet hast. David hat es mir erzählt. Aber in Straßburg hast du es nicht mit ein paar Bauern zu tun, die um ihre Äcker klagen. Es gibt eine Menge einflussreicher Männer, die eure Zeitung ablehnen.»
«Das verstehe ich ja, aber …»
«Aber anstatt dich ruhig zu verhalten und erst einmal abzuwarten, ob die Kurierreiter heil nach Hause zurückkehren, möchtest du Öl ins Feuer gießen und den Vogt aufsuchen? Kein Mensch betritt sein Haus ohne vorherige Aufforderung oder Einladung. Einer der Männer, die heute in der Tafelstube des Vogts bewirtet wurden, ist ein Edelmann aus Wolfenbüttel. Wie ich hörte, trägt er sich ebenfalls mit dem Gedanken, ein Zeitungsprivileg zu erwerben. Sicher sind er und der Flame nicht nur nach Straßburg gekommen, um gemeinsam mit unseren Ratsherrn zu speisen.»
Henrika tat es leid, den Wundarzt aufzuregen, aber es blieb ihr keine andere Wahl. «Ich muss aber in dieses Haus», sagte sie kläglich. «Das hat nichts mit dem Vogt oder dem Ratsherrn zu tun, obwohl Zorn auf mich einen freundlichen Eindruck machte, als er den Kurierreitern am Stadttor den Eid abnahm …»
«Pah! Dieser Zorn ist ebenso freundlich wie eine giftige Viper, in deren Loch dein Fuß geraten ist.»
«Gib schon Ruhe, Ludwig», mahnte Emma, die ahnte, dass in Henrikas
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