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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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für dich freigeräumt.»
    Mit wachsender Verzweiflung dachte Henrika an ihr Vorhaben. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, wenn sie mit dem Flamen sprechen wollte. Doch sie durfte Laurenz’ Argwohn nicht wecken, und angesichts der bevorstehenden Reise nach Frankfurt gab es keinen glaubhaften Grund, warum sie Ludwig ausgerechnet in dieser Nacht zu einem Krankenbesuch hätte begleiten sollen.
    Ehe sie einen vernünftigen Gedanken fassen konnte, hatte sie sich auch schon von Ludwig und Emma verabschiedet und folgte Laurenz hinaus in die Nacht.

    Während Laurenz neben Henrika durch die Stadt schlenderte, sprach er über sein Ziel, eine eigene Werkstatt zu gründen.
    «Ein Mann muss sein eigener Herr sein», erklärte er. Henrika war zu müde und zu sehr mit ihren eigenen Überlegungen beschäftigt, um seinen Redefluss zu bremsen, daher ließ sie ihn gewähren und hoffte, dass sie bald das Haus von Meister Carolus in der Kruggasse erreichten. Doch plötzlich ergriff Laurenz sie am Arm und schob sie mit eisernem Griff durch ein verwahrlostes Tor auf einen Hof.
    Henrika starrte den Drucker entsetzt an, während sie versuchte, sich mit dem Ärmel ihres Kleides vor dem ekelerregenden Gestank nach Fäkalien und verfaultem Obst zu schützen, der ihr entgegenschlug. Verwirrt blickte sie sich um. Der rechteckige Hof, in dem sie stand, war von halb zerfallenen Stallungen und einem Speicher mit Außentreppe umgeben. Der heftige Regen, der noch immer nicht nachlassen wollte, hatte den lehmigen Grund in einen Sumpf verwandelt, in dem Strohhalme und Federn schwammen.
    «Warum führst du mich hierher?», wollte Henrika wissen, obwohl sie bereits eine vage Ahnung beschlich. Meister Carolus hatte einmal erwähnt, dass das Haus, in dem die beiden Brüder ihre Kindheit verbracht hatten, seit Jahren unbewohnt dem Verfall preisgegeben war. Nach der Ermordung ihres Vaters, der in Straßburg einen einträglichen Handel unterhalten hatte, war das gesamte Anwesen auf die beiden Brüder übergegangen, doch als Gesellen war es ihnen nicht möglich gewesen, den alten Familienbesitz zu unterhalten.
    Henrika verspürte wenig Lust, das Haus der Familie Schlüssel ausgerechnet jetzt kennenzulernen, doch Laurenz ignorierte ihre Einwände und überredete sie, sich wenigstens ein wenig umzusehen, bevor sie sich zur Druckerei aufmachten.
    Das Haus war ebenso heruntergekommen wie der aufgeweichte Hof. Während sich dort Ratten und Katzen bekämpften, herrschten im Innern Spinnen und Schaben über die Dunkelheit. Aus irgendeinem Winkel holte Laurenz eine Kerze, damit sie zwischen all dem Unrat nicht stolperten.
    Henrika ging voller Unbehagen durch die leeren Kammern. Die Räume im Erdgeschoss waren trostlos und erinnerten sie an eine Gruft. Dazu passte auch der Geruch, der von den Dielenbrettern aufstieg. Henrika wurde übel. Sie zweifelte nicht daran, dass das Haus in früheren Zeiten stattlich gewesen war, davon zeugte nicht zuletzt der prachtvolle steinerne Kamin in der Herrenstube. Über der Feuerstelle war ein Wappen aus schwarzem Erz in die Wand eingelassen worden, aber Henrika war es unmöglich, Einzelheiten darauf zu erkennen. Nur ein geschwungener Schlüssel fiel ihr auf.
    «Hier befand sich das Kontor meines Vaters», erklärte Laurenz, als er bemerkte, dass Henrika vor dem Kamin stehen geblieben war. Er sprach so leise, als befänden sie sich in einer Kirche. «Ich kann mich noch gut erinnern, wie stolz er darauf war, ein Familienwappen führen zu dürfen. Der Rat der Stadt hatte es ihm erlaubt, dabei war sein Großvater noch ein einfacher Dorfweber, der lange sparen musste, um das Bürgerrecht zu erwerben.» Trotz der Dunkelheit bemerkte Henrika, dass Laurenz sie angrinste.
    «Nicht jedem ist es vergönnt, eine wohlhabende Frau zu heiraten.»
    War es das, wofür er sie hielt? Eine wohlhabende Frau? Seine Bemerkung über die Druckerpresse fiel ihr wieder ein. Angeblich nichts weiter als ein dummer Scherz.
    «Dafür hat es sein Enkelsohn zum Kaufmann gebracht», bemerkte Henrika trocken. Ihr stand nicht der Sinn nach alten Geschichten, und sie hoffte, dass sie endlich gehen würden. Doch der junge Drucker stellte seine Kerze auf dem Kaminsims ab und trat ein paar Schritte zurück. Der gelbliche Schein beleuchtete den unteren Teil des Wappenbildes. Einen Moment schien Laurenz in Erinnerungen zu schwelgen, dann drehte er sich um und sah Henrika in die Augen.
    «Sobald ich Meister geworden bin, werde ich das Haus wieder zum Leben erwecken, das

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