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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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wegen Ehebruchs gebrandmarkt und aus der Stadt getrieben worden. Also nehme ich an, dass sie nicht diejenige ist, zu der du gerade unterwegs bist.»
    Henrika verfluchte Bunters Schwatzhaftigkeit; unter Barthels Blicken fühlte sie sich wie ein in die Enge getriebenes Kaninchen. Wieso musste er ihr ausgerechnet jetzt mit seinem Fragen zur Last fallen? Merkte er nicht, dass sie am Ende ihrer Kräfte war und nur noch den Wunsch hatte, ungesehen nach Hause zu gelangen, um ihren Kopf unter dem Kissen zu vergraben? Ihr ganzer Körper schmerzte, außerdem fror sie.
    Oh Gott! Das Schultertuch. Sie musste es in der Scheune verloren haben. Vermutlich würde morgen das halbe Dorf vor der Hutmacherwerkstatt aufmarschieren und die dreiste Diebin, die auch noch dumm genug war, ihr Tuch am Ort des Geschehens zu verlieren, an den Haaren auf die Gasse ziehen.
    Doch Henrikas Befürchtung zerrann, denn als hätte Barthel ihre Gedanken lesen können, reichte er ihr das Tuch mit einer spöttischen Verbeugung. Es musste es gefunden und an sich genommen haben.
    «Eure Leute sollten das gute Stück nicht bei den kurfürstlichen Zollhäusern finden, nicht wahr?», bemerkte er mit einem verschmitzten Lächeln.
    Henrika nickte erleichtert. Rasch legte sie sich das Wolltuch um die Schultern und schwieg. Nur das Rauschen der tiefschwarzen Wellen war zu hören. Wiederum hatte der Fremde ihr geholfen. Er schien es doch gut mit ihr zu meinen. Schließlich dankte sie ihm ein weiteres Mal und hatte plötzlich das Gefühl, ihm eine Erklärung schuldig zu sein.
    «Die Angelegenheit ist ein wenig kompliziert.»
    «Nur zu, mein Kind», ermunterte er sie.
    Diesmal konnte Henrika ein Lächeln nicht unterdrücken. Auf eigentümliche Weise fühlte sie sich zu dem Gesandten des Kurfürsten hingezogen und beschloss, das Wagnis einzugehen und ihm zu vertrauen. In knappen Worten erzählte sie ihm, wie sie hieß und was sie einst in dieses Dorf geführt hatte. Barthel Janson hörte ihr aufmerksam zu, ohne sie auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen.
    «Weder für mich noch für die Familie des Hutmachers, der mich aufgenommen hat, ist es leicht», beendete sie ihren Bericht. Sie warf einen düsteren Blick auf den Fluss. Bei Dunkelheit besehen, hatte die nahe Flussschleife, in der sich in dieser Nacht weder Mond noch Sterne spiegelten, jedoch etwas Bedrohliches an sich.
    «Dann stimmt es also», sagte Barthel nachdenklich. «Deine Mutter trug ein Schandmal auf ihrem Leib. Das Mal einer Schwindlerin, die man nicht mehr dulden wollte.» Er sprach nicht weiter; aus den Augenwinkeln betrachtete er ein Stück Treibholz, das herangeschwemmt wurde und sich einige Male im Kreis drehte, bevor es verschwand.
    «Ich nehme an, deine Mutter ist nicht mehr am Leben?», stellte er nach einer Weile fest. Freudlos lachte er auf. «Nein, natürlich nicht. Sie ließ ihr Kind hier zurück, bei diesen freundlichen, gottesfürchtigen Menschen.»
    Henrika senkte den Kopf. Nun, ganz so war es nicht gewesen, aber das konnte der Fremde nicht wissen. Ihre Mutter hatte das Dorf niemals gesehen. Ihr Grab befand sich irgendwo außerhalb, inmitten der einsamen Sümpfe. Die Hahns hatten sie zwar unter die Erde gebracht, behaupteten jedoch, sich nicht mehr an die genaue Stelle erinnern zu können.
    Die Fragen des Fremden begannen Henrika immer mehr zu beunruhigen. Was ging diesen Mann das Schicksal ihrer Mutter an? War es Neugier? Sie musste es sich gefallen lassen, dass Barthel ihr mit seiner Laterne ins Gesicht leuchtete und sie anschließend von Kopf bis Fuß musterte; mit den Gedanken schien er dabei an einem anderen, weit entfernten Ort zu weilen, und wenngleich er sich auch bemühte, Henrika keinen Einblick in sein Innerstes zu gewähren, ließ sein bleiches Gesicht doch nur die Schlussfolgerung zu, dass ihr Anblick ihn betroffen stimmte.
    «Kann das möglich sein?», flüsterte er kopfschüttelnd. «Ausgerechnet hier und nach all diesen Jahren? Gebe Gott, dass ich mich nicht täusche.»
    Henrika blinzelte nervös. Der Schein der Laterne blendete sie. Als sie sich endlich durchrang, den Fremden um eine Erklärung für sein sonderbares Verhalten zu bitten, fuhr die Erkenntnis auch schon wie ein Blitz auf sie nieder: Nicht sie war ihm bekannt, es war ihre Mutter, an die er sich erinnerte. Natürlich, so musste es sein! Hatte der alte Hutmacher nicht manchmal behauptet, Henrika gleiche mit ihrer zierlichen Figur, den wilden rotbraunen Haaren und der milchweißen Haut ihrer toten Mutter auf

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