Die Meisterin der schwarzen Kunst
zu heiraten? Die Aufmerksamkeit, die der Ratsherr ihr in Davids Beisein zollte, war nicht das, was sie sich wünschte. Emma und Ludwig hatten sie doch davor gewarnt, sich dem Gerede auszusetzen. Zorn jedoch schien seine Augen und Ohren überall zu haben. Ihm entging so leicht nichts, was sich innerhalb der Stadtmauern ereignete. Vermutlich war er, der Carolus’ Arbeit insgeheim unterstützte, der einzige Mann in Straßburg, der nicht auf die Informationen einer Gazette angewiesen war.
Der Ratsherr wandte sich zum Gehen, blieb an der Tür jedoch noch einmal stehen. «Wann erwartet Ihr eigentlich den fünften Reiter zurück, Meister Carolus?»
«Er müsste Straßburg noch in dieser Woche erreichen.»
«Und wie kam es dann, dass ihr anderen fast gleichzeitig in Straßburg eintraft?», fragte der Ratsherr und wandte sich an die vier jungen Reiter. «Erzählt mir bloß nichts von einem Wunder, das nehme ich euch nicht ab. Ihr Burschen habt euch doch verabredet, nicht wahr? Heraus mit der Sprache: Wo war euer Treffpunkt?»
Der «Wiener» errötete; verunsichert spähte er zu seinen Kameraden hinüber.
«Wir haben uns nur einen kleinen Spaß erlaubt», verteidigte sich der junge Kurier. «Natürlich haben wir eine Verabredung getroffen, nachdem wir überschlagen hatten, wie lange jeder von uns für seine Reise brauchen würde.»
«Wir haben uns in einem kleinen Marktflecken hinter Weißenburg getroffen», kam der «Venezianer» seinem Freund zu Hilfe. «Dort gibt es ein Gasthaus, dessen Wirtin keine Fragen stellt, solange man sie ordentlich … bezahlt. Der ‹Kölner› war der Erste, wenig später traf ich ein. Insgesamt verbrachten wir etwa eine Woche in dem Dorf, um uns von den Strapazen der Reise zu erholen.»
«Das ist doch unerhört», schimpfte Meister Carolus, doch er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die Geschichte schien ihm zu gefallen. Nur David sah empört aus.
«Aber auf den ‹Antwerpener› habt ihr nicht gewartet?», wollte Zorn wissen.
«Nein, Ratsherr. Wir haben keine Ahnung, was ihn aufgehalten haben könnte. Aber das kann man natürlich im Voraus auch nicht sagen. In Flandern herrscht noch immer Krieg, soweit ich weiß. Als wir schließlich aufbrachen, war von ihm jedenfalls nichts zu sehen.»
«Wir haben unseren Auftrag erfüllt, Ratsherr», sagte der «Wiener» kühl. «Auf ein paar Tage kommt es dabei doch nicht an. Dürfen wir uns entfernen?»
«Ihr dürft. Aber findet euch morgen zum Angelusläuten im Rathaus ein. Keine Angst, Meister Carolus, ich habe nicht vor, Euren Männern Nachrichten abzujagen, die Ihr selbst im Ausland teuer erkaufen musstet. Aber wir leben nun einmal in spannungsreichen Zeiten, und der Rat ist für die Sicherheit Straßburgs verantwortlich.» Zorn warf Henrika einen Blick zu. «Auch mit Euch möchte ich mich gelegentlich unterhalten, Jungfer», sagte er mit einem höflichen Lächeln.
«Ihr erweist mir zu viel Ehre, Ratsherr.»
«Glaubt Ihr?» Der junge Mann strich sich mit dem Finger über den gestutzten Bart. Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. «Überlasst die Entscheidung darüber besser mir. Ich brenne jedenfalls darauf, mehr über eine so begabte junge Frau wie Euch in Erfahrung zu bringen.»
Laurenz wartete mit wachsender Ungeduld.
Stunden waren vergangen, seit er sein Pferd von der Landstraße geführt und im Wald an einen hohen Baum gebunden hatte, der von sattem grünem Moos umgeben war. Dort gab es auch genug Gras für sein Tier. Die Hauptsache war, dass es stillhielt und seinen Herrn nicht verriet, während dieser die Straße im Auge behielt.
Eine Weile hielt es Laurenz an der Straßenbiegung aus, dann ließ er das Waldstück hinter sich und ging einen winzigen Trampelpfad hinauf, der zu einer Lichtung führte. Er kannte den einsamen Ort von früheren Ausflügen. Ein paar Mal hatte er auch ein Mädchen überredet, sich mit ihm gemeinsam die Aussicht anzuschauen. Keine Bürgerstöchter, die waren hochnäsig, immer auf ihren guten Ruf bedacht und ließen sich nur auf heimliche Schäferstündchen ein. Es gab aber auch andere, die sich weniger zierten. Laurenz fiel ein, dass er auch mit dem Gedanken gespielt hatte, Henrika die Lichtung zu zeigen. Nun aber war er froh, dass er darauf verzichtet hatte. Die Lichtung musste sein Geheimnis bleiben.
Er ließ sich auf einem Steinblock nieder, der wie ein mächtiger Tisch aus dem Boden ragte, und blickte sich um. Tief unter ihm im Tal erstreckten sich Felder, Wiesen und Wäldchen, so
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