Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
gutaussehende Mann ihre Gesellschaft einem Spaziergang durch die Siedlung vorzog. In Abwesenheit seines Bruders, der ihr mit seiner abweisenden Schweigsamkeit ohnehin auf die Nerven ging, konnte sie sich gewiss besser mit ihm unterhalten. David schien ihre Gedanken zu erraten. Einen Moment lang starrte er seinen Bruder empört an, dann zuckte er die Achseln und verließ die Tafelstube.
    «Nehmt es dem Jungen nicht übel», sagte Laurenz. «Seit unsere Eltern tot sind, ist er nicht mehr derselbe. Beide wurden vor einigen Jahren auf dem Rückweg von einer Dorfkirchweih nach Straßburg von Räubergesindel überfallen und erschlagen.»
    «Das ist ja entsetzlich», sagte Henrika mitfühlend und schalt sich gleichzeitig dafür, dass sie den Schmerz in den Augen des Jungen nicht richtig gedeutet hatte.
    «Ist ja schon lange her», sagte Laurenz. Er lächelte, aber seine gespielte Fröhlichkeit konnte Henrika nicht täuschen. Auch er litt unter dem, was seiner Familie zugestoßen war. «David war damals noch ein Knabe, der die Lateinschule besuchte. Er musste mit ansehen, wie mein Vater ausgeplündert und an einem Baum erhängt wurde. Aber er konnte nichts ausrichten, weil ihm einer der Straßenräuber einen Prügel über den Kopf zog. Nun, wenigstens hat er überlebt, aber seit dieser Zeit schaut er jeden schief an, der seinen Weg kreuzt. Er vertraut niemandem mehr. Es bereitete ihm nicht einmal Genugtuung mitzuerleben, wie das Gesindel wenig später erwischt und vor den Toren Straßburgs aufs Rad geflochten wurde. Mögen sie in der Hölle braten bis zum Jüngsten Gericht.» Ein Schatten huschte über das Gesicht des jungen Druckers, doch er wich sogleich, als Henrika ihm voller Anteilnahme zulächelte.
    «Genug von düsteren Erinnerungen. Was geschehen ist, kann keine Macht der Welt rückgängig machen. Wir sind hier, um unserem eigenen Leben einen Sinn zu geben, bevor Gevatter Tod auch an unsere Tür klopft. Und die Ohren einer Jungfer sollten keine trübseligen Geschichten hören, sondern Musik, Gedichte und zärtliche Worte. Warum versteckt Euch Euer Vater in diesem muffigen alten Gebäude? Weiß er denn nicht, dass blühende Rosen Sonnenschein brauchen?»
    «Wenn Ihr mich mit einer Rose vergleicht, muss ich Euch warnen. Eure Rose hat spitze Dornen.» Sie zögerte kurz. «Vielleicht würdet Ihr Euch nur stechen, wenn ich Euch verriete, dass ich gar nicht die Tochter des Festungsbaumeisters bin.»
    Laurenz Schlüssel blickte sie überrascht an. «Wie? Ihr seid nicht Barthels Tochter?»
    «Barthel hat mich aufgenommen, nachdem mein Vormund gestorben war und niemand sonst mich haben wollte. Seitdem lebe ich unter seinem Dach. Ich führe sein Hausbuch, zähle seine Weinfässer im Keller und die geräucherten Schinken in der Vorratskammer und sorge dafür, dass die Dienerschaft ihn in Ruhe lässt, wenn er Berechnungen anstellt und seine Skizzen anfertigt. Als Gegenleistung lässt er mich lesen, was ich will, und bringt mir bei, wie eine Jungfer aus ehrbarem Haus sich zu benehmen hat.»
    «Und das mit beachtlichem Erfolg, soweit ich es beurteilen kann.» Laurenz Schlüssel lächelte nicht, als er vorsichtig Henrikas Hand nahm, und dafür war sie ihm dankbar. Sein warmer Atem streifte die Haut ihrer Finger und beschlug den schmalen Silberring, den sie trug. Eine vertrauliche, beinahe zärtliche Geste, die ein Band schuf, das Henrikas Herz wie ein warmer Mantel umhüllte.
    «Wisst Ihr, was ich mir in diesem Augenblick wünschte?», flüsterte er ihr zu.
    Henrika ahnte es, denn sie hegte denselben Wunsch. Sie wollte den jungen Drucker gern wiedersehen und hoffte aus ganzem Herzen, dass Barthel es erlauben würde.
    «Ich wünschte mir, Ihr könntet uns nach Straßburg begleiten.» Er lehnte sich zurück und verdrehte schwärmerisch die Augen. «Straßburg würde Euch gefallen. Die Stadt ist groß und voller Leben, ganz anders als diese … diese Baustelle.»
    «Mag sein, aber ich werde wohl hier bleiben, bis ich alt und grau bin», erwiderte Henrika bekümmert. «Bis die Festung fertig ist, können viele Jahre vergehen, und so lange werden die Dienste des Baumeisters benötigt.»
    Laurenz runzelte die Stirn. «Ihr habt eben selbst zugegeben, dass Ihr weder seine Tochter noch eine Verwandte seid. Er lässt Euch für sich arbeiten wie eine Magd. Das ist kein Leben für eine junge Frau. Lasst doch eine andere seine Schinken zählen. In Straßburg könnte ein ehrbares Mädchen wie Ihr …»
    Henrika hob abwehrend die Hand; sie

Weitere Kostenlose Bücher