Die Meisterin der schwarzen Kunst
wollte nicht, dass er sie noch mehr in Versuchung führte. Was er ihr vorschlug, war einfach unmöglich. Sie wusste nichts über den jungen Mann, außer dass sein Lächeln sie auf sonderbare Weise berührte. Das aber reichte kaum aus, um sich von Barthel loszusagen, dessen Fürsorge ihr trotz seiner Launen immerhin ein Gefühl von Sicherheit gab. Mit seiner Hilfe hatte sie gelernt, die höhnischen Bemerkungen zu überhören, die häufig hinter ihrem Rücken erklangen, wenn sie auf den Markt ging. Davon abgesehen konnte sie sich nicht mehr vorstellen, ein Leben ohne Bücher zu führen. Barthel verlangte von ihr nichts, was sie ihm nicht bereitwillig gab. Er bestand lediglich darauf, dass sie in seiner Nähe war, wenn er sie sehen wollte.
Und er kannte ihr Geheimnis.
«Überlegt es Euch», sagte Laurenz mit einem abschätzenden Blick. «In Straßburg ereignen sich bald bedeutende Dinge, und es wäre schade, wenn ein wissenshungriger junger Mensch wie Ihr sie verschliefe.»
«Wovon redet Ihr?»
«Der Stadtrat hat unserem Meister das Privileg erteilt, eine Gazette zu drucken.» Er beugte sich vor. Noch immer hielt er Henrikas Hand fest. «Diese Gazette wird die Welt verändern. Sie wird Lichter anzünden, wo bislang nur Dunkelheit herrschte. Sie wird eine ganz neue Zeit einleiten.»
«Eine Gazette?» Henrika zuckte ratlos mit den Schultern. Sie hatte das Wort noch nie gehört. «Was um alles in der Welt ist das?»
«An manchen Orten nennt man es auch Zeitung», erklärte Laurenz nicht ohne Stolz. «Ihr könnt es mit einem Buch vergleichen, einem sehr dünnen Buch, das aus nur wenigen bedruckten Seiten besteht und von Krämern in der ganzen Stadt für ein paar Kreuzer verkauft wird. Auf diesen Seiten findet Ihr jedoch nicht die Erkenntnisse alter Gelehrter, sondern Neuigkeiten, alles, was gerade irgendwo passiert. Die neuesten Nachrichten aus dem gesamten Heiligen Römischen Reich, aber auch aus anderen Ländern. Entdeckungen und Erkenntnisse gebildeter Männer und Mitteilungen von den Höfen der Fürsten. Kurz, alles, was Ihr Euch nur in Euren kühnsten Träumen vorstellen könnt.»
Henrika wurde hellhörig; sie zwang sich, das stürmische Herzklopfen, das Laurenz’ Nähe ihr bescherte, zu ignorieren, und bat ihn um weitere Einzelheiten. Was er erzählte, klang wie Musik in ihren Ohren.
«Die Zeiten werden immer unsicherer», fuhr Laurenz fort. «Die Menschen fürchten sich vor einem neuen Krieg, der uns alle ins Unglück stürzen könnte. Daher sind Nachrichten wertvoller als Gold geworden. Stellt Euch nur einmal vor, ein Kaufmann möchte einen Handelszug hinauf ins Böhmische ausrüsten. Da sollte er doch wissen, ob er seine Wagen durch Landstriche lenken muss, die er besser meiden sollte, weil dort Unruhen herrschen. In den Städten sind die Patrizier dankbar für jede noch so unbedeutende Neuigkeit, die vom Hof des Kaisers in Prag zu ihnen dringt. Der alte Kaiser Rudolf verkriecht sich ängstlich in seiner Burg, während ihm sein Bruder die angestammten österreichischen Länder streitig macht. Ruhm oder Niederlage eines Fürsten hängen davon ab, wie gut er informiert ist, bevor er eine politische Entscheidung für sein Land trifft. Die hohen Herren haben natürlich ihre Gesandten, die sie ausschicken. Aber die Neuigkeiten, die diese Männer von ihren Reisen nach Hause bringen, sind manchmal schon so alt, dass sie eigentlich keiner Erwähnung mehr wert sind. Davon abgesehen haben die Männer, die persönliche Boten bezahlen, kein Interesse daran, ihre kostbaren Nachrichten mit dem gemeinen Volk zu teilen. Auf der anderen Seite brauchen aber auch die Städte zuverlässige Kuriere, denn wenn erst mal der Feind vor den Stadtmauern steht, ist es meist zu spät, um Vorkehrungen zu treffen. Die Welt verändert sich, heute zählen Geschwindigkeit und Ausdauer mehr als verstaubter Adelsstolz. Euer Baumeister scheint das auch begriffen zu haben.»
Henrika hörte aufmerksam zu. Was Laurenz berichtete, klang einleuchtend.
«Demnach sammelt Euer Meister so viele Nachrichten wie möglich und druckt sie in seiner Werkstatt, damit jeder lesen kann, was sich im Reich tut? Ist er deshalb nach Mannheim gekommen? Um über den Bau der Festung und die Anlage der Stadt in seiner Zeitung zu schreiben?»
Laurenz bremste Henrika mit einer Handbewegung; ihr plötzlich erwachter Eifer schien ihn zu belustigen.
«Nun, im Moment bereiten uns ein paar andere Dinge mehr Kopfzerbrechen als Eure Festungsanlage», sagte er. «Das
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