Die Meisterin der schwarzen Kunst
Privileg hat Meister Carolus zwar in der Tasche, und die meisten Ratsherren haben sich auf seine Seite gestellt. Aber leider gibt es immer noch Männer, die ihm Steine in den Weg legen. Einflussreiche Männer, die vor nichts zurückschrecken, um sein Vorhaben zu vereiteln. Zu allem Überfluss gibt es zwei Familien im Straßburger Rat, die miteinander aufs Blut verfeindet sind. Gewinnt man die eine, kann man sich des Zorns der anderen sicher sein. Die Zeitungsgründung ähnelt daher dem Tanz eines Blinden über einen Haufen roher Eier.»
Henrika dachte an Barthels Schwierigkeiten mit dem Schultheiß und den Schöffen des Dorfs zurück. Wenn man dem Straßburger Druckereibesitzer in ähnlicher Weise das Leben schwer machte, war er wirklich zu bedauern. Sie hoffte inständig, dass sich Johannes Carolus durch die Feindseligkeiten einiger seiner Mitbürger nicht in seinem Vorhaben beirren lassen würde.
«Die Zeitung muss doch nicht nur in Straßburg erscheinen, oder?», fragte sie, einer plötzlichen Eingebung folgend.
«Worauf wollt Ihr hinaus?»
«Unser Landesherr hat der neuen Stadt zahlreiche Privilegien zugestanden. Barthel könnte nach Heidelberg reiten und ihn bitten, ebenfalls die Veröffentlichung einer Zeitung zu genehmigen …»
«Gar kein so übler Einfall, Jungfer.» Laurenz ergriff seinen Becher und nahm einen kräftigen Schluck. «Die Sache hat aber leider einen Haken. Meister Carolus hängt an seiner Straßburger Werkstatt. Sein Vater war Geistlicher und hochgeachtet. Außerdem hat Meister Carolus lange mit den Ratsherren verhandeln müssen, bis sie ihm entgegenkamen. Falls er sich nun davonmacht, waren alle seine Mühen um das kostbare Privileg umsonst. Ein anderer würde es ihm vor der Nase wegschnappen, noch bevor er mit seinem Wagen durchs Stadttor gefahren wäre. Nein, Jungfer, die Zeitung wird in Straßburg erscheinen oder gar nicht.» Er überlegte kurz, ehe er hinzufügte: «Das soll aber nicht heißen, dass wir helfende Hände zurückweisen würden. Eine Gazette zu drucken, verschlingt ein Vermögen, das wir nicht haben. Boten und Kurierreiter wollen bezahlt werden, außerdem Nachrichtensortierer, Schreiber, Setzer, Drucker und Krämer. Ihr glaubt ja gar nicht, wie viele Menschen sich täglich in unserer Werkstatt tummeln. Wir brauchen zuverlässige Männer, die sich auf den Marktplatz oder vors Münster stellen und unsere Schriften anpreisen, und wir brauchen ein nicht allzu teures Lager oder wenigstens einen trockenen Schuppen, in dem man weitere Druckerpressen unterstellen kann. Meister Carolus möchte einige Geräte in Italien oder Flandern kaufen und rechnet dabei mit der Hilfe Eures Baumeisters, weil der doch aus den Niederlanden stammt und gewiss über gute Kontakte verfügt.»
«Barthel wird ihm bestimmt helfen», sagte Henrika, ohne zu zögern, schließlich war ihr nicht entgangen, wie herzlich der Baumeister seinen Freund willkommen geheißen hatte.
Zum Mittagsmahl fanden sich Gäste und Hausbewohner im oberen Stockwerk ein. Henrika hatte den Mägden eingeschärft, den Tisch mit dem guten Tafeltuch zu decken und für eine besonders schmackhafte Mahlzeit zu sorgen. Die Männer dankten es ihr mit Appetit und fröhlichen Trinksprüchen. Besonders der Druckermeister langte zu, sooft die Hausmagd die Platte mit geschmortem Spanferkel, Hühnchen, Blutwürsten und goldgelbem Käse auftrug.
Henrika lächelte zufrieden. Dass der Straßburger kein Kostverächter war, hatte sie schon geahnt, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Aber auch Laurenz und der schweigsame David, der nichts von den Eindrücken, die er bei seinem Rundgang durch die betriebsamen Siedlungen gewonnen hatte, preisgeben wollte, ließen es sich schmecken. Die Männer hatten eine anstrengende Reise über den Rhein hinter sich und beabsichtigten, die Stadt im Morgengrauen wieder zu verlassen, um nach Straßburg zurückzukehren. Meister Carolus erklärte mit vollem Mund, er könne seine Werkstatt nicht zu lange im Stich lassen. Seiner Miene nach war er mit seinen geschäftlichen Vorschlägen bei Barthel auf offene Ohren gestoßen.
Auch Anna nahm an dem Gastmahl teil, begegnete den Gästen ihres Verwandten aber distanziert. Sie schien weder den dicken Druckermeister noch die beiden jungen Gesellen sonderlich zu mögen, auch wenn sie Laurenz einer ausgiebigen Musterung unterzog. Schließlich zog sie sich mit der Begründung, unter Kopfschmerzen zu leiden, in ihre Kammer zurück. Zu ihrem Bedauern beendete Annas
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