Die Meisterin der schwarzen Kunst
Übellaunig vertiefte er sich in seine Arbeit.
Um sich von den Gedanken an Laurenz im fernen Straßburg abzulenken, verbrachte Henrika viele der düsteren Wintertage im unteren Stockwerk des kleinen Hauses, um sich mit Johannes Carolus’ Druckerpresse vertraut zu machen. Dabei genoss sie das sanfte Plätschern des Wassers, das tief unter ihr gegen die Brückenpfeiler klatschte, und betrachtete zuweilen die Schneeflocken, die vor dem Fenster herumwirbelten.
Eines Abends war Henrika noch zu später Stunde im Brückenhaus beschäftigt. Sie wollte nicht allein nach Hause gehen, sondern auf Barthel warten, der noch im oberen Stockwerk zu arbeiten hatte. Ein Steinmetz polterte mit schweren Schritten die Treppe hinunter und griff nach der Laterne, die er beim Eintreten auf eine Truhe neben dem Fenster gestellt hatte. Als er die Tür öffnete und ihm die Kälte entgegenschlug, verzog er missmutig den Mund. «Ein Schneesturm zieht auf», teilte er Henrika mit, die sich die Hände am Feuer wärmte. Sie hatte es geschürt, um einen Kessel mit Kräuterbier zu erhitzen, aber die schwachen Flammen reichten nicht aus, um dem feuchten Raum Behaglichkeit zu verleihen.
«Ihr solltet dafür sorgen, dass der Herr Festungsbaumeister den Weg nach Hause findet, bevor er dort oben in seiner Stube noch zu Eis erstarrt», sagte der Steinmetz. «Im Augenblick können wir ohnehin nur abwarten, bis sich das Wetter bessert. Es lohnt sich nicht, unfertige Torbögen anzustarren. Das allein setzt keinen Schlussstein ein. Ich habe die Arbeiter jedenfalls nach Hause geschickt, bevor sie krank werden.»
Henrika musste dem Steinmetz zustimmen. Der ältere Mann hatte schon viele Häuser gebaut und wusste, wovon er sprach. Höflich bot sie ihm einen Becher heißes Kräuterbier an, aber der Meister lehnte dankend ab. Er wollte lieber zu seiner Familie, bevor man die Gassen nicht mehr passieren konnte, und verabschiedete sich. Henrika verstand das nur zu gut, denn ihr stand der Heimweg auch noch bevor. Sie sank auf einen Hocker und überließ sich wieder ihren Gedanken. Das Knarren der Tür hörte sie nur noch undeutlich. Versonnen blickte sie in die Flammen und versuchte sich vorzustellen, wie erfahrene Straßburger Drucker die Presse in Gang setzten. Ihr selbst war das trotz einiger heimlicher Versuche noch nicht gelungen. Eine Weile betrachtete sie den hohen Aufbau der Druckerpresse, die bald nach Straßburg geliefert werden sollte, dann schloss sie die Augen und überließ sich ihren Träumen. Straßburg. Ob es dort wohl auch schneite? Barthel hatte nur die Achseln gezuckt, als sie ihn danach gefragt hatte. Er war mit seinen Gedanken wie üblich auf der Baustelle, doch sie mochte schwören, dass er ihren Vorschlag, die Presse für Meister Carolus auf ihrem Weg nach Straßburg bewachen zu lassen, zumindest in Betracht zog. Vielleicht ließ er sie ja mitreisen.
Auf ihrer Zunge lag ein bitterer Geschmack, der vermutlich von dem Kräuterbier herrührte. Was brauchten die Straßburger noch, um eine Gazette zu drucken? Wie kostspielig mochte es sein, Kuriere in alle Herren Länder auszusenden oder ständige Korrespondenten vor Ort zu unterhalten? Wurden die Nachrichten, welche die Kuriere einkauften, einfach wahllos auf die Presse gelegt, oder gab es jemanden, der sie vorher abschrieb oder nach Bedeutung und Herkunft sortierte? Fügte der Meister seinen Neuigkeiten Kommentare aus seiner eigenen Feder hinzu, oder überließ er es den Käufern der Zeitung, sich eine Meinung über die Geschehnisse im Reich zu bilden? Wurden Kupferstiche verwendet, und wenn ja, wer stellte sie her? In Straßburg, so hatte sich Henrika sagen lassen, stand die Kunst des Kupferstechens in höchster Blüte. Allmählich entspannten sich ihre Glieder, und ein wohliges Gefühl von Wärme und Müdigkeit wanderte durch ihren Körper. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Wenig später sank sie in einen tiefen Schlaf, aus dem sie erst erwachte, als ihre Zähne unkontrolliert zu klappern begannen. Benommen richtete sie sich auf und blinzelte in die Flamme der Lampe. War sie tatsächlich eingeschlafen? Schwerfällig stand sie auf, und ein stechender Schmerz fuhr durch ihren verspannten Nacken. Sie erinnerte sich dunkel, geträumt zu haben. Verworrenes Zeug, dessen schaler Beigeschmack sie auch nach dem Erwachen nicht loslassen wollte.
Das Bild eines grünen Waldsees spukte durch ihren Kopf, auf dem Schlingpflanzen und weiße Blüten trieben. Noch immer hatte sie einen länglichen Kahn
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