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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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vor Augen, der sanft über die leicht bewegte Wasseroberfläche glitt. Sie hatte sich selbst in dem Kahn gesehen. Sich und eine hübsche Frau. Obwohl sie sich beide angestrengt hatten, rudernd vorwärtszukommen, gelang es ihnen nicht, das nahe Ufer zu erreichen. Die Böschung war hoch, und außerdem leckte der Kahn wie ein angezapftes Weinfass. Ihre Füße standen bis zu den Knöcheln im Wasser. Es stieg unaufhörlich und sprudelte nach einer Weile nicht mehr grün, sondern blutrot. Henrika fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Sie erinnerte sich an ihre Angst und an die warme Stimme der Frau, die ihr eine Melodie ins Ohr gesummt hatte, um sie zu beruhigen.
    Die Melodie, schoss es ihr durch den Kopf. Die Verse. Das Lied vom grünen See.
    Der bittere Geschmack in Henrikas Mund wurde unerträglich. Was war nur los mit ihr? Wurde sie ernstlich krank? Verwirrt blickte sie zur Stubendecke empor und lauschte. Aber aus dem oberen Stockwerk war nichts zu hören außer dem Geräusch von Wassertropfen, die monoton in eine Pfütze auf dem Steinboden klatschten.
    War Barthel ebenfalls eingeschlafen, oder grübelte er wieder über seinen Berechnungen und hatte die Zeit vergessen? Wie auch immer, es war spät. Sie musste ihn davon überzeugen, nach Hause zu gehen, bevor er sich das Lungenfieber holte. Sie hatte sich bestimmt eine Erkältung eingefangen, warum sollten ihre Füße sonst so unangenehm kribbeln und die Handflächen schwitzen?
    Das Feuer unter dem Kessel war bereits nahezu heruntergebrannt, es mussten Stunden vergangen sein, seit der alte Steinmetz sich von ihr verabschiedet hatte.
    Henrika ging zur Treppe. «Herr, ich möchte nach Hause gehen. Es ist spät.» Doch der Baumeister antwortete nicht. Eine plötzliche Unruhe überkam sie. Irgendetwas stimmte dort oben nicht. Warum hatte sie ausgerechnet jetzt von der sonderbaren Melodie geträumt? War das Lied eine Warnung gewesen?
    Als sie ihren Fuß auf die erste Stufe setzte, fiel ihr ein dicker Tropfen mitten auf die Stirn. Verfluchte Feuchtigkeit. Sie wischte ihn mit dem Handrücken ab und verharrte in ungläubigem Entsetzen. Was an ihren Fingerspitzen klebte, war kein Wasser, sondern Blut. Und es tropfte auch nicht durch eine undichte Stelle im Dach, sondern durch eine Bodenritze der oberen Kammer. Henrika blickte hinunter auf die Dielen, und ihr Verdacht bestätigte sich. Eine dunkelrote Blutlache breitete sich auf dem Fußboden aus. Henrika war hindurchgeschritten und hatte auf den Stufen der Treppe rote Abdrücke hinterlassen.
    Panik stieg in ihr hoch. Henrika rannte die Treppe hinauf und stürzte in die Stube. Dort bot sich ihr ein grässliches Bild. Barthel kniete in einer Blutlache vor seiner mächtigen Büchertruhe, in der fast sein gesamter Oberkörper verschwand. Das heißt, Henrika nahm an, dass er es war, denn sie erkannte seinen purpurnen Hausmantel mit der goldenen Kordel, den er oft zum Schutz vor der Kälte in der Brückentorstube trug. Seine Arme hingen schlaff herunter.
    Henrika schlug beide Hände vor den Mund; mühsam unterdrückte sie einen Schrei. Wie betäubt lief sie um die Truhe herum und sah, dass Barthels Hinterkopf zerschmettert war. Sein Mörder musste sich herangeschlichen und den eisenbeschlagenen Deckel der Truhe zugeschlagen haben, als sich der Baumeister über sie gebeugt hatte. Der Aufprall hatte erst sein Genick, dann seinen Schädel gespalten. Überall an der Truhe klebten Haare und Hautfetzen; Blut und graue Hirnmasse waren über den Fußboden gespritzt.
    Barthel war tot. Kein Lied, keine Melodie würde ihn ins Leben zurückrufen.
    Zitternd zog Henrika den leblosen Körper aus der tödlichen Falle. Sie tat es mechanisch, glaubte, in einem Traum gefangen zu sein, aus dem sie jeden Augenblick erwachen musste. Vorsichtig berührte sie Barthels Kopf und stellte fest, dass er nur noch aus einer einzigen breiigen Masse bestand. Als sie das Gesicht mit einem Teil des Hausmantels bedecken wollte, löste sich der Schädel von den Sehnen, die ihn noch am Rumpf gehalten hatten, und polterte mit einem dumpfen Geräusch zu Boden.
    Henrika stieß einen heiseren Schrei aus. Entsetzen schüttelte sie beim Anblick des abgetrennten Körperteils, das sich vor ihren Augen wie ein Kreisel drehte. Sie erwachte aus ihrer Starre, doch der Albtraum ließ sich nicht abschütteln.
    Barthel schien arglos gewesen zu sein und den heimtückischen Angriff nicht vorausgeahnt zu haben, denn seine Augen, die aus tiefen Höhlen zum Deckengebälk emporstarrten,

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