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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Gesprächen der alten Männer.
    Gelangweilt beobachtete er seinen Meister, der schweigend neben ihm saß. Die Augen des Mannes waren geschlossen.
    Zum wiederholten Mal fragte sich David, ob die Ratsherren seinen Meister absichtlich so lange warten ließen oder ob sie einfach nur einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt hatten, um ihr Anliegen vorzubringen. Die Männer schienen es jedenfalls nicht eilig zu haben. Sie erweckten nicht den Eindruck, als wollten sie den einzigen Antragsteller, der sich zur heutigen Sitzung in der Ratsstube eingefunden hatte, an ihre Tafel laden.
    Johannes Carolus schlug die Augen auf. Sein Blick heftete sich auf die rotbraune, mit Schnitzereien versehene Täfelung der Ratsstube. Über dem Lehnstuhl, auf dem der Stettmeister wie ein Fürst thronte, hing eine Tafel mit Inschrift, welche die Bitte um himmlischen Beistand zum Inhalt hatte.
    Eine frische Brise drang durch die geöffneten Fenster, die jedoch auch dem Lärm des Münstermarktes ungehinderten Zutritt verschafften. David hörte das derbe Lachen der Fuhrknechte und Krämer, deren Karren über das Pflaster holperten, und das Geschrei der Marktweiber, die auf dem Münsterplatz ihre Waren sortierten. Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte sich aus dem Fenster gelehnt, um sich ein wenig zu zerstreuen, aber unter den Blicken der Ratsherren wagte er es nicht, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Er konnte froh sein, dass man ihn nicht aufgefordert hatte, wie ein Diener vor der Tür auf seinen Meister zu warten.
    Carolus saß trotz der zermürbenden Wartezeit aufrecht und würdevoll neben ihm. Er hatte im Morgengrauen sein bestes Gewand angezogen, das nachtblaue Wams aus Samt mit der steifen gefältelten Halskrause. Obwohl er kein Wort über die endlosen Debatten an der Ratstafel verlor, entging David nicht, dass sich auch in ihm allmählich Wut aufstaute. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte der Drucker jede Bewegung der Ratsherren. Einige von ihnen, wie der alte Waldemar Zorn, dessen Familie seit Jahrhunderten zum Patriziat der Stadt gehörte, trugen hüftlange Pelzmäntel und hohe Lederstiefel. Auch die Vertreter der Zünfte zeigten sich, wenngleich ein wenig bescheidener, so doch in ihren besten Kleidern. Schließlich wollten auch sie hinter den Patriziern nicht zurückstehen. Zu hart hatten sie für ihre Rechte im Rat der Stadt kämpfen müssen.
    David gähnte verstohlen, trotzdem zog er sofort die missbilligenden Blicke der beiden Diener auf sich, die auf leisen Sohlen um die Ratstafel herumliefen und die Humpen der Herren mit Wein füllten. Die Münsterturmuhr schlug bereits zum vierten Mal, und noch immer unterhielten sich die Männer über den gestiegenen Getreidepreis, den neu einzuteilenden Brandwachtdienst in den Gerbervierteln am Fluss und die Klagen der Metzgerzunft über einige Bauernkrämer aus Dörfern der Umgebung, die sich trotz mehrmaliger Ermahnung nicht davon abhalten ließen, auf dem Münsterplatz und dem Markt vor St. Peter Bratenstücke zu niedrigeren Preisen anzubieten. Der Protest der Metzger führte zu einer erbitterten Kontroverse im Rat; mehrmals musste Hermann Seidenberg die Glocke schwingen, um den durcheinanderredenden Männern Einhalt zu gebieten. Dass der Besitzer einer Druckerei wie ein Bittsteller auf die Entscheidung des Rates warten musste und darüber wertvolle Arbeitszeit vergeudete, kümmerte die Ratsherren nicht im Geringsten. Nur hin und wieder warf einer der jüngeren Mitglieder David einen abschätzenden Blick zu.
    David kannte ihn. Auch er gehörte der einflussreichen Familie der Straßburger Zorns an, doch war sein Vater mit dem alten Waldemar und dessen Zweig seit langem verfeindet. Über die Fehde der Patrizier war ganz Straßburg im Bilde, auch wenn niemand sich mehr so recht erinnern mochte, womit sie ihren Anfang genommen hatte. Da die verfeindeten Verwandten seit Generationen ihre Plätze unter den Ratsherren der Stadt hatten, keiner dem anderen beim Betreten der Ratsstube aber den Vortritt lassen wollte, benutzten die Zorns verschiedene Eingänge. Ungeachtet seines eisgrauen Haars, erklomm der alte Waldemar die steile Treppe, während sein junger Verwandter das Haus über den schattigen Hof betrat. So begegneten sich die Vertreter der Zorns meistens erst in der Ratsstube, wo sie jedoch niemals auch nur ein Wort miteinander wechselten.
    «Nun, wenn sich Eure Fragen hinsichtlich der Salzabgaben erschöpft haben, bliebe nur noch ein letzter Punkt des Protokolls zu besprechen»,

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