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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Gastwirt. Ihr seid …»
    «Nein, Mädchen.» Meister Priem lachte heiser. «Ich war der Henker von Heidelberg!»

    Der Sud aus Weidenrinde bescherte Henrika einen tiefen Schlaf, aber sie träumte nicht. Als sie endlich zu sich kam, waren zwei Tage vergangen. Dafür fühlte sie sich frischer und ausgeruhter als zuvor. Die Verletzung zwischen den Schultern bereitete ihr keine Schmerzen mehr, nur ein dumpfes Ziehen erinnerte an die Stelle, an der sie Bunters Schaufel getroffen hatte. Die Arznei des Henkers hatte wahre Wunder gewirkt.
    Langsam richtete sie sich auf und strampelte die Wolldecke von ihren Beinen. Sie war allein in der Kammer, wenn man von der Katze absah, die es sich wieder zu ihren Füßen bequem gemacht hatte. Henrika beugte sich über sie und streichelte ihr weiches Fell, bis sie sich mit einem freundlichen Schnurren für die Liebkosung bedankte.
    Du hast dich nicht von deinem warmen Platz vertreiben lassen, dachte Henrika. Ihr Herz wurde schwer, als sie an das dachte, was vor ihr lag. Ehe der Tag zur Neige ging, musste sie sich auf den Weg machen. Nicht als unbescholtene Reisende, sondern als Flüchtling, der auf der Hut sein musste. Sie durfte auf keinen Fall zu lange im Haus des Blinden bleiben. Nach dem, was er und Agatha ihr erzählt hatten, suchten häufig Menschen auf der Flucht Unterschlupf bei ihm oder ließen sich von ihm verarzten, wenn sie einen Schwerthieb eingesteckt hatten. Meister Priem schien es gleichgültig zu sein, wer bei ihm unterkroch, solange ihm dessen Geschichte gefiel. Seit er keinem Ratsherrn und keinem Stadtrichter mehr verpflichtet war und das Richtschwert aufgrund seiner Erblindung nicht mehr schwingen konnte, durfte er es sich erlauben, wählerisch zu sein und zu entscheiden, wen er bei sich aufnahm und wem er die Hilfe verweigerte.
    «Fühlst du dich ausgeruht genug, um deine Reise fortsetzen?», fragte Meister Priem, als er einige Zeit später durch die Tür schlüpfte. Sein Gesicht war gerötet und glänzte, als hätte er es mit Schnee abgerieben.
    Agatha, die seine Stimme gehört haben musste, trat aus der Arzneikammer, in der sie geschlafen hatte. In der Hand hielt sie Hahns Wanderstab. Henrika war gar nicht aufgefallen, dass die Hutmacherin ihn unterwegs im Boot bei sich gehabt hatte. Agatha strich mit dem Daumen liebevoll über das glatte Holz, dann drückte sie Henrika den Stab in die Hand.
    «Hahn hätte gewollt, dass du ihn bekommst», sagte sie. «Er hat dich geliebt wie sein eigenes Kind. Aber nun spute dich. Meister Priem hat recht, es wird höchste Zeit, dass du dich auf den Weg machst. Wenn sie dich hier aufspüren und in Ketten in die Stadt schleppen, kann dir niemand mehr helfen.»
    Henrika schluckte. Natürlich war es riskant, sich noch länger in der heruntergekommenen Schänke aufzuhalten, aber als sie die Tür öffnete und den kniehohen Schnee vor dem Haus sah, sank ihr Mut. Am liebsten hätte sie in der gemütlichen Stube den Winter verbracht und die Stunde ihres Aufbruchs bis zu den ersten Strahlen der Frühlingssonne hinausgezögert.
    Doch das war unmöglich.
    Agatha begleitete sie bis zur Straße. Sie fragte nicht, wohin Henrika gehen wollte, sondern berührte sie zum Abschied nur kurz am Arm. Als Henrika sich vor einer Biegung noch einmal nach der Schänke «Zur krummen Brücke» umblickte, war ihre Pflegemutter nicht mehr zu sehen.

Straßburg

11. Kapitel
    Die Sitzung in der Ratsstube des Straßburger Rathauses dauerte bereits zwei Stunden, aber noch immer war kein Ende abzusehen.
    David Schlüssel hatte sich immer für einen geduldigen Mann gehalten, doch heute rutschte er auf der harten Holzbank hin und her und wünschte sich sehnlichst in die Werkstatt zurück. Er hasste es, seinen Meister ins Rathaus zu begleiten, und konnte nur schwer ertragen, dass man ihn dort warten ließ wie einen Schuljungen. Mit wachsendem Unmut beobachtete er, wie der Ratsschreiber Hermann Seidenberg einen Stapel Urkunden sortierte. Vor ihm lag das schwere Amtssiegel der Stadt, das er im Auftrag des Stettmeisters verwalten durfte, eine Ehre, der er sich bewusst war. Von Zeit zu Zeit ergriff er seine Schreibfeder, um mit geschäftiger Miene eine Bemerkung oder einen Beschluss zu notieren. Alle Mitglieder des Straßburger Rats, Kaufleute und Angehörige der Handwerkszünfte und Gilden saßen bereits seit dem Mittagsläuten um die Tafel versammelt, um über Angelegenheiten der Stadt zu diskutieren, die David nichts sagten. Schon bald verlor er das Interesse an den

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