Die Meisterin der schwarzen Kunst
der Ratsherr und rieb sich demonstrativ die Augen. «Ihr braucht doch wieder Geld aus dem Stadtsäckel, nicht wahr? Wie viel darf es denn diesmal sein?»
David erschrak. Er wusste, dass sein Meister nicht vorgehabt hatte, die Rede so schnell auf die Schulden zu bringen, die das weitere Erscheinen der Zeitung bedrohten. Aber es entsprach der Wahrheit. Carolus brauchte dringend ein Darlehen; sein eigenes Vermögen reichte bei weitem nicht aus, um die Gläubiger zufrieden zu stellen, die ihm seit Martini mit ihren Forderungen im Nacken saßen. Die Kosten für Materialien waren gestiegen, ferner warteten Drucker und Buchbindergesellen, Boten und Nachrichtenkrämer seit Wochen auf ihren Lohn. Die zusätzliche Druckerpresse, die Carolus in den südlichen Niederlanden gekauft hatte, stand noch immer unbezahlt im Lagerhaus der neugegründeten Stadt zwischen Rhein und Neckar. Sie alle warteten ungeduldig darauf, dass man die Presse endlich von dort nach Straßburg bringen würde, in die neuen Räume, die Carolus in der Kruggasse gemietet hatte. Doch zu ihrer Bestürzung waren die Briefe des Meisters an den Festungsbaumeister bislang unbeantwortet geblieben. Keiner von ihnen konnte sich vorstellen, was Barthel Janson dazu bewogen haben könnte, von seinem großzügigen Angebot zurückzutreten. Laurenz, den ganz andere Interessen nach Mannheim zogen, hatte sich erboten, sich auf den Weg zu machen und den Baumeister noch einmal eindringlich an die versprochene Unterstützung zu erinnern, aber dann hatten die anhaltenden Schneestürme sein Vorhaben vereitelt. Außerdem gab es in der Druckerei so viel zu tun, dass Carolus seinen begabtesten Gesellen nur ungern auf Reisen schicken wollte. So galt es, bis zum Frühjahr abzuwarten.
«Der Straßburger Rat kann Eure Geschäfte nicht für Euch führen, Meister!» Es war Seidenberg, der Davids Gedanken wieder auf das Geschehen an der Tafel lenkte.
«Wir können Empfehlungsschreiben ausstellen, die Ihr Euren Zeitungskrämern mitgeben dürft, falls sie Eure Gazette außerhalb der Stadtmauern anpreisen, aber selbst das wird Euch etwas kosten. Ein Darlehen können wir Euch im Interesse aller Bürger nicht mehr gewähren, da müsst Ihr Euch schon an Eure Zunft wenden.»
Carolus blickte unglücklich von dem alten Zorn zu Ratsschreiber Seidenberg. Die Absage traf ihn hart, denn er wusste, dass die Zunft der Straßburger Buchbinder und Drucker, der er seit vielen Jahren angehörte, ihm nicht unter die Arme greifen würde. Der Zunft gehörten inzwischen an die hundert Handwerker an, die mühevoll ihr Auskommen suchten. Zwar war die Stadt Straßburg berühmt für ihre Buchdrucker – selbst Gelehrte kamen von nah und fern, um Bücher und Schriften zu kaufen oder drucken zu lassen – aber dennoch hießen nicht alle Mitglieder der Zunft Carolus’ ehrgeizige Pläne gut. Die Schatulle im Zunfthaus zu beleihen war für Carolus daher ebenso aussichtslos, wie Gold aus dem Rheinwasser zu waschen.
«Und was die Frage nach Kurieren angeht, so sollte erst darüber beraten werden, ob es dem Wohl der Stadt zuträglich ist, wenn ein Handwerksmeister sie auf eigene Faust aussendet», wandte der alte Waldemar Zorn ein. «Wir könnten in Verruf kommen, ja uns sogar dem Verdacht der Spionage aussetzen, wenn Straßburger mit Billigung ihrer Ratsherren in den Angelegenheiten anderer Städte herumschnüffeln. Was das für Folgen haben kann, brauche ich wohl nicht auszuführen. Die Situation im Reich ist angespannt genug, seit Kaiser Rudolf gedrängt wird, den böhmischen Protestanten Zugeständnisse zu machen.» Er sah Meister Carolus skeptisch an. «Reichen Eure geschäftlichen Beziehungen nicht bis ins Kurfürstentum der Pfalz und sogar in die Niederlande?»
Carolus’ Halsschlagader begann unter dem steifen Rundkragen heftig zu pochen; seine Haut rötete sich und juckte unangenehm, was oft vorkam, wenn er sich aufregte. Wie, um Himmels willen, konnte ausgerechnet der alte Zorn davon Wind bekommen haben? Irgendjemand musste ihm von der Druckerpresse und seinen Briefen an den Festungsbaumeister berichtet haben. Es war kein Geheimnis, dass die beiden verfeindeten Zorn-Sippen ihre eigenen Kundschafter bezahlten. Mit deren Hilfe spionierten sie sich gegenseitig aus, wann immer sich eine Gelegenheit bot. Sie schnappten einander einträgliche Geschäfte vor der Nase weg, reichten Klagen ein und taten alles, was in ihrer Macht lag, um den Verwandten zu schaden. Im Laufe der Jahre hatten die streitlustigen Familien
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