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Die Memoiren des Grafen

Die Memoiren des Grafen

Titel: Die Memoiren des Grafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ich mich nicht an regelmäßige Arbeit gewöhnen konnte. Ich hoffe, Sie wollen mir nicht eine vernünftige Arbeit anbieten?»
    Für eine Sekunde flog ein leichtes Lächeln über Virginias Züge.
    «Der Auftrag ist ganz und gar nicht vernünftig.»
    «Ausgezeichnet», meinte der junge Mann zufrieden.
    «Ich bin in ziemlicher Bedrängnis», gestand sie. «Und alle meine Bekannten sind – nun, in exponierten Stellungen. Sie haben Angst, sich bloßzustellen.»
    «Das brauche ich absolut nicht zu befürchten», grinste der junge Mann. «Sie können also ruhig fortfahren.»
    «Im Nebenzimmer liegt ein toter Mann», sagte Virginia atemlos. «Er wurde ermordet, und ich weiß nicht, was tun.»
    Sie platzte mit den Worten heraus wie ein verängstigtes Kind. Der junge Mann stieg gewaltig in ihrer Achtung durch die Art, wie er diese Mitteilung aufnahm.
    «Großartig», meinte er begeistert. «Ich wollte schon lange Amateurdetektiv spielen. Wollen wir uns den Toten ansehen, oder möchten Sie mir zuerst erzählen, wie alles kam?»
    «Ich will Ihnen die Tatsachen erzählen.» Sie überlegte einen Augenblick, und dann begann sie ruhig und gesammelt: «Dieser Mensch kam gestern her und wollte mich sprechen. Er hatte gewisse Briefe bei sich – Liebesbriefe, die mit meinem Namen unterzeichnet waren –»
    «Die Sie aber nicht geschrieben hatten», unterbrach der junge Mann ruhig.
    «Woher wissen Sie das?»
    «Das war nur eine Folgerung. Fahren Sie bitte fort.»
    «Er wollte mich erpressen, und ich – nun, ich weiß nicht, ob Sie mich begreifen, aber ich ging darauf ein.»
    Sie blickte ihn Verständnis heischend an, und er nickte ihr beruhigend zu.
    «Ich verstehe Sie sehr gut. Sie wollten erfahren, wie man sich bei so etwas fühlt.»
    «Wie gescheit von Ihnen! Genau so war es.»
    «Ich bin gescheit», meinte der junge Mann bescheiden. «Aber Sie müssen sich darüber klar sein, dass nur wenige Menschen Ihre Handlungsweise verstehen würden. Die meisten besitzen keine Fantasie.»
    «Ich sagte dem Mann, er solle heute um sechs Uhr wiederkommen. Als ich vorhin vom Tennisplatz heimkam, fand ich ein gefälschtes Telegramm vor, das alle Bediensteten, außer meiner Zofe, aus dem Haus gelockt hatte. Dann ging ich ins Arbeitszimmer, und dort fand ich den Toten.»
    «Wer hat ihm die Tür geöffnet?»
    «Ich weiß es nicht. Meine Zofe hätte es sicher gesagt, wenn sie es gewesen wäre.»
    «Weiß sie, was geschehen ist?»
    «Ich habe ihr noch nichts gesagt.»
    Der junge Mann nickte und stand auf.
    «Und nun wollen wir den Toten mal besichtigen», sagte er munter. «Aber ich möchte Ihnen Folgendes zu bedenken geben: Es ist immer am besten, die Wahrheit zu sagen. Eine Lüge zieht so viele andere nach sich – und ständiges Lügen ist schrecklich ermüdend.»
    «Dann raten Sie mir also, die Polizei anzurufen?»
    «Wahrscheinlich. Aber wir wollen uns den Kerl zuerst ansehen.» Virginia führte ihn aus dem Zimmer. Auf der Schwelle zögerte sie und schaute ihn an.
    «Übrigens haben Sie mir noch nicht gesagt, wie Sie heißen.»
    «Verzeihung! Mein Name ist Anthony Cade.»

9
     
    A nthony folgte Virginia aus dem Zimmer und lächelte dabei vor sich hin. Die Sache hatte eine unerwartete Wendung genommen. Doch als er sich über den Toten beugte, war sein Gesicht wieder ganz ernst.
    «Der Körper ist noch warm», sagte er. «Er wurde vor weniger als einer halben Stunde umgebracht.»
    «Also kurz bevor ich hereinkam?»
    «Richtig.»
    Er stand aufrecht, die Brauen nachdenklich zusammengezogen. Dann stellte er eine Frage, die Virginia zuerst nicht begriff.
    «Ihre Zofe ist nicht in diesem Zimmer gewesen?»
    «Nein.»
    «Weiß sie, dass Sie hier waren?»
    «Nun – ja. Ich sprach unter der Tür mit ihr.»
    «Nachdem Sie den Toten gefunden hatten?»
    «Ja.»
    «Und Sie sagten ihr nichts davon?»
    «Hätte ich das tun sollen? Ich weiß, sie wäre hysterisch geworden. Sie ist Französin und leicht erregbar.»
    Anthony nickte nur.
    «Sie finden, das war falsch von mir?»
    «Ich gebe zu, dass es die Lage erschwert. Sehen Sie, Mrs Revel, wenn Sie gemeinsam mit der Zofe den Toten entdeckt hätten, wäre alles viel einfacher gewesen. Es hätte dann kein Zweifel auftauchen können, dass der Mann vor Ihrer Rückkehr erschossen wurde.»
    «Während man jetzt annehmen könnte, dass er nach – ich verstehe.» Er betrachtete sie, während sie versuchte, diesen Gedanken zu verarbeiten, und er fand seinen ersten Eindruck von ihr bestätigt: Sie war nicht nur schön,

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