Die Memoiren des Grafen
größtem Bedauern auf die liebenswürdige Einladung von Lord Caterham verzichten müsse, da er London sofort wieder verlasse. Er unterzeichnete mit «Ihr sehr ergebener James McGrath».
«Und nun», sagte Anthony, nachdem er den Brief frankiert hatte, «an die Arbeit! Abgang Mr James McGrath und Auftritt Anthony Cade!»
8
A n diesem Tage hatte Virginia Revel in Ranelagh Tennis gespielt. Während des ganzen Rückwegs, als sie entspannt in ihrer großen Limousine lehnte, spielte ein Lächeln um ihre Lippen im Gedanken an die kommende Unterredung. Diesmal sollte der Erpresser eine kleine Überraschung erleben.
Als der Wagen vor ihrem Haus vorfuhr, wandte sie sich an ihren Chauffeur.
«Wie geht es Ihrer Frau, Watson?»
«Ich glaube besser, danke schön. Der Arzt wollte um halb sieben nach ihr sehen. Werden Sie den Wagen noch brauchen?» Virginia überlegte einen Augenblick.
«Ich fahre übers Wochenende weg. Um 18 Uhr 40 geht mein Zug, aber ich brauche Sie nicht mehr. Ein Taxi tut es auch. Es ist mir lieber, wenn Sie selbst mit dem Arzt sprechen können. Falls er meint, eine kleine Luftveränderung würde Ihrer Frau guttun, dann nehmen Sie den Wagen und fahren Sie mit ihr irgendwohin fort. Ich übernehme die Kosten.»
Die Dankesbezeugungen des Chauffeurs mit einem freundlichen Kopfnicken abbrechend, eilte Virginia die Stufen empor und suchte in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln. Doch plötzlich erinnerte sie sich, dass sie keine mitgenommen hatte, und klingelte ungeduldig.
Während sie eine Weile auf das Öffnen der Tür warten musste, kam ein junger Mann die Stufen empor. Er war schäbig gekleidet und hielt in der Hand ein Bündel Flugblätter und eine Sammelbüchse. Die Flugblätter streckte er Virginia entgegen, und sie las die Aufschrift: «Warum diente ich dem Vaterland?»
«Muss ich wirklich schon wieder so ein schreckliches Gedicht nehmen?» klagte Virginia. «Ich hab bereits eins gekauft heute Früh – Ehrenwort!»
Der junge Mann zog seine Hand zurück und lachte. Virginia stimmte in sein Lachen ein. Dabei überflogen ihre Augen seine Gestalt, und sie fand, dass er bedeutend besser aussah als die übliche Sorte von Arbeitslosen, denn zu ihrem Erstaunen stand nicht Chilvers, sondern ihre Zofe vor ihr.
«Wo ist denn Chilvers?», fragte sie kurz, als sie in die Halle trat.
«Aber Madam, er ist mit den anderen fortgefahren.»
«Wohin denn?»
«Zu Ihrem Landhaus natürlich – wie es in Ihrem Telegramm stand.»
«Ein Telegramm? – Von mir?», fragte Virginia fassungslos.
«Sie schickten doch ein Telegramm. Es kam vor einer Stunde.»
«Ich habe kein Telegramm geschickt. Was stand denn drin?»
«Ich glaube, es liegt noch auf dem Tisch là-bas.»
Elise ging zum Tisch, hob triumphierend ein Telegramm hoch und überreichte es ihrer Herrin.
«Voilà, Madame.»
Das Formular war an Chilvers adressiert und lautete:
Sofort mit allen Bediensteten zum Landhaus fahren –
bereitet dort alles für Wochenendgesellschaft vor –
nehmt Zug 5 Uhr 40.
Daran war nichts Ungewöhnliches; es war genau die Art Nachricht, wie sie Virginia öfters sandte, wenn sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, Leute in ihren Bungalow einlud. Sie nahm die Dienerschaft immer mit und überließ das Stadthaus einer alten Hausmeisterin. Die Mitteilung schien also völlig natürlich, und es war begreiflich, dass Chilvers sich von ihr täuschen ließ.
«Ich bin noch da, weil ich annahm, dass Madame mich zum Packen braucht.»
«Das ist ein dummer Streich. Sie wissen doch genau, Elise, dass ich zum Wochenende nach Chimneys fahre.»
«Ich nahm an, dass Madame ihren Entschluss geändert haben. Das kommt doch gelegentlich vor, nicht wahr, Madame?»
Virginia musste das mit einem halben Lächeln zugeben. Dabei überlegte sie, was dahinterstecken könnte. Elise brachte ihre Meinung darüber deutlich zum Ausdruck.
« Mon Dieu», rief sie aus und schlug die Hände zusammen, «das sind sicher Einbrecher! Sie schicken ein gefälschtes Telegramm, damit die domestiques das Haus verlassen, und dann plündern sie alles aus!»
«Das wäre möglich», meinte Virginia zweifelnd.
«Bestimmt ist es so, Madame! Jeden Tag können Sie solche Sachen in den Zeitungen lesen. Madame müssen sofort die Polizei anrufen, bevor die Diebe kommen und uns die Kehle durchschneiden.»
«Seien Sie doch nicht so aufgeregt, Elise. Um sechs Uhr nachmittags kommt niemand und schneidet uns die Kehle durch.»
«Madame, ich flehe Sie an, lassen Sie
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