Die Memoiren des Grafen
Isaacstein war gestern außer sich, dass er nicht fort durfte, aber ich nahm an, er sei einfach nervös geworden. Er gehört zu den wenigen, die für mich außerhalb jedes Verdachts standen. Können Sie sich irgendeinen Grund vorstellen, weshalb er Fürst Michael aus dem Weg hätte räumen sollen?»
«Es scheint wirklich keinen Sinn zu ergeben.»
«Nichts hat einen Sinn bei der ganzen Geschichte», murrte Anthony unzufrieden. «Ich hielt mich anfänglich für einen guten Amateurdetektiv, aber alles, was ich bisher zu Stande brachte, war eine Rehabilitierung der französischen Erzieherin – mit viel Schwierigkeiten und etlichen Kosten.»
«Fuhren Sie deshalb nach Frankreich?»
«Ja. Ich hatte eine Unterredung mit der Comtesse de Breteuil in Dinard. Dabei kam ich mir sehr klug vor und erwartete die Antwort, dass eine solche Person dort unbekannt sei. Statt dessen gab man mir zu verstehen, dass Mademoiselle Brun während der letzten sieben Jahre die Hauptstütze des ganzen Haushalts gewesen sei. Wenn man nicht annehmen will, dass die Gräfin selbst zu der Verbrecherbande gehört, dann fällt meine ganze schöne Theorie ins Wasser.»
«Madame de Breteuil steht außerhalb jeden Verdachts. Ich kenne sie gut und glaube sogar, dass ich Mademoiselle Brun dort im Schloß mal begegnet bin. Jedenfalls kam mir ihr Gesicht irgendwie bekannt vor –» Virginia brach ab. «Was ist los?»
Anthony starrte auf die Gestalt, die jetzt aus den Bäumen heraustrat und abwartend stehen blieb – der Herzoslowake Boris.
«Entschuldigen Sie mich einen Moment», bat Anthony. «Ich muss nur kurz mit meinem Spürhund sprechen.»
Er ging zu Boris hinüber.
«Was gibt es? Was wünschen Sie?»
«Herr», sagte Boris mit tiefer Verneigung.
«Schön und gut, aber Sie müssen mir nicht überallhin folgen. Das macht sich nicht gut.»
Wortlos wies Boris ein schmutziges Zettelchen vor, das zweifelsohne von einem Brief abgerissen war.
«Was ist das?», fragte Anthony.
Nichts als eine Adresse stand auf dem Zettel.
«Er verlor es», sagte Boris. «Ich bringe es meinem Herrn.»
«Wer verlor es?»
«Der fremde Gentleman.»
«Warum bringen Sie es mir?»
Boris blickte ihn vorwurfsvoll an.
«Lassen wir es gut sein, aber verschwinden Sie jetzt, ich bin beschäftigt.»
Boris verneigte sich tief, drehte sich auf dem Absatz um und schritt davon. Anthony kehrte zu Virginia zurück, während er den Zettel in seine Tasche steckte.
«Was wollte er?», erkundigte sich Virginia neugierig. «Und warum nennen Sie ihn Ihren Spürhund?»
«Weil er sich wie ein solcher benimmt», erklärte Anthony. «Er hat mir einen Zettel gebracht, von dem er behauptet, der fremde Gentleman habe ihn verloren. Wahrscheinlich meint er Lemoine.»
«Vielleicht könnte es sich aber auch um Isaacstein handeln», schlug Virginia vor. «Isaacstein sieht wahrhaftig fremd genug aus.»
«Möglich», murmelte Anthony gleichgültig.
«Tut es Ihnen leid, dass Sie in diese ganze Sache verwickelt wurden?», fragte Virginia plötzlich.
«Leid? Du liebe Zeit, nein! Ich bin glücklich darüber. Den größten Teil meines Lebens habe ich damit zugebracht, mich in Schwierigkeiten zu bringen. Diesmal ist mir vielleicht etwas mehr davon zuteil geworden, als mir lieb ist.»
«Aber jetzt sind Sie doch in Sicherheit», sagte Virginia, erstaunt über den ungewöhnlichen Ernst, der aus seiner Stimme klang.
«Noch nicht ganz.»
Einige Minuten lang gingen sie schweigend weiter.
«Es gibt Menschen, die einfach nicht auf Gefahrensignale achten können», unterbrach Anthony endlich die Stille. «Wenn ich das rote Signal bemerke, dann komme ich erst recht auf Hochtouren. Das muss schließlich zu einer Katastrophe führen! Und recht geschieht mir.»
«Sie sind in Ihrem Leben sicher schon vielen Gefahren begegnet?»
«Fast jeder Gefahr, die es überhaupt gibt – außer Heirat.»
«Das klingt sehr zynisch.»
«So war es nicht gemeint. Aber Heirat, wenigstens die Art Heirat, die mir vorschwebt, wäre bestimmt das allergrößte Abenteuer meines Lebens.»
«Herrlich!» Virginia errötete vor Eifer.
«Es gibt nur eine Art von Frau, die ich heiraten möchte – und diese Art ist weltenweit von meinem bisherigen Lebensstil entfernt. Wo gibt es da einen Ausweg? Müsste sie sich meinem Leben anpassen – oder ich mich dem ihrigen?»
«Wenn sie Sie liebt –»
«Das sind nur romantische Worte, Mrs Revel.»
«Gibt es gar keinen Ausweg?», fragte Virginia.
«Einen Ausweg gibt es immer», erklärte
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