Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2
zu Hause.
In Lachine haben sie einen Raum, der als Frühstückszimmer dient. Er liegt auf der Chausseeseite und besitzt zum Rasen hin ein großes französisches Fenster. Der Rasen ist dreißig Yards breit und von der Straße durch eine niedrige, von einem Geländer gekrönte Mauer abgegrenzt. In dieses Zimmer ging Mrs. Barclay nach ihrer Rückkehr. Die Rolladen waren nicht heruntergelassen, denn der Raum wurde abends selten benutzt. Mrs. Barclay zündete die Lampen an, klingelte und bat Jane Stewart, eines der Dienstmädchen, um eine Tasse Tee, was im Gegensatz zu ihren sonstigen Gewohnheiten stand. Der Colonel hatte im Eßzimmer gesessen, eilte aber, da er seine Frau zurückkommen hörte, zu ihr ins Frühstückszimmer. Der Kutscher beobachtete, wie er die Halle durchschritt und dort eintrat. Er wurde lebend nicht mehr wiedergesehen.
Nach zehn Minuten brachte das Dienstmädchen den bestellten Tee, vernahm aber, als es sich der Tür näherte, die Stimmen seines Herrn und seiner Herrin in heftigem Wortwechsel. Es klopfte, ohne eine Antwort zu bekommen, drückte sogar die Klinke hinunter, mußte aber feststellen, daß die Tür von innen abgeschlossen war. So lief es zur Köchin, und die beiden Frauen gingen dann ge meinsam mit dem Kutscher in die Halle und hörten dem Wortgefecht zu, das noch immer tobte. Sie stimmen darin überein, daß sie nur zwei Stimmen gehört hätten, die von Barclay und seiner Frau. Barclay sprach in gedämpftem Ton und war kurz angebunden, so daß die Lauscher nichts von dem Gesagten mitbekamen. Die Bemerkungen der Dame dagegen klangen äußerst erbittert und konnten klar verstanden werden, wenn sie die Stimme erhob. ›Du Feigling!‹ sagte sie immer wieder. ›Was soll denn jetzt geschehen? Gib mir mein Leben zurück. Ich mag nicht einmal mehr dieselbe Luft wie du atmen! Du Feigling! Du Feigling!‹ Soweit Bruchstücke aus der Auseinandersetzung, die mit einem plötzlichen schrecklichen Schrei des Mannes und einem durchdringenden Kreischen der Frau endete. Überzeugt, daß sich eine Tragödie ereignet habe, versuchte der Kutscher die Tür zu sprengen, weil das Kreischen nicht aufhörte. Es gelang ihm nicht, zu öffnen, und die Frauen waren ihm in ihrer Angst keine Hilfe. Dann kam ihm eine Idee, und er lief durch die Halle und um das Haus zu dem französischen Fenster des Frühstückszimmers. Ein Flügel stand offen, was, wie man mir erklärte, im Sommer üblich war, und er gelangte ohne Schwierigkeit ins Zimmer. Seine Herrin hatte aufgehört zu schreien und war ohnmächtig auf eine Couch gesunken, während der unglückliche Soldat tot in einer Blutlache lag, die Beine über der Seitenlehne eines Sessels und den Kopf nahe dem Kamingitter.
Natürlich war das erste, was dem Kutscher einfiel, nachdem er festgestellt hatte, daß seinem Herrn nicht zu helfen war, die Tür zu öffnen. Aber dem stand ein unerwartetes und eigenartiges Hindernis entgegen. Der Schlüssel steckte nicht im Schloß, und er konnte ihn nirgends im Zimmer finden. So ging er durch das Fenster hinaus und kehrte mit einem Polizisten und einem Arzt zurück. Man legte die Leiche des Colonels auf das Sofa und untersuchte den Schauplatz der Tragödie eingehend.
Die Verletzung des unglücklichen Mannes bestand aus einem gezackten Riß am Hinterkopf, ungefähr zwei Inches lang, der von einem heftigen Schlag mit einer stumpfen Waffe herrühren kann. Es war nicht schwierig, herauszubekommen, welche Waffe benutzt worden war. Auf dem Boden, dicht neben der Leiche, lag eine sonderbare Keule aus Hartholz mit einem knöchernen Griff. Der Colonel besaß eine Sammlung von Waffen, zusammengetragen aus den verschiedenen Ländern, in denen er gekämpft hatte, und die Polizei nimmt an, daß die Keule zu diesen Trophäen gehört. Die Dienerschaft behauptet zwar, sie hätte sie nie gesehen, aber es ist möglich, daß sie bei den vielen Kuriositäten, die das Haus beherbergt, nicht bemerkt wurde. Sonst stellte die Polizei nichts von Wichtigkeit in dem Zimmer fest, außer dem unerklärlichen Umstand, daß der fehlende Schlüssel weder bei Mrs. Barclay noch beim Opfer, noch sonstwo in dem Raum zu finden war. Die Tür mußte von einem Schlosser aus Aldershot geöffnet werden.
So lagen die Dinge, Watson, als ich am Dienstagmorgen auf die Bitte des Majors Murphy hin nach Aldershot fuhr, um die Bemühungen der Polizei zu unterstützen.
Ich glaube, Sie haben bereits bemerkt, daß die Sache an sich schon interessant war; doch
Weitere Kostenlose Bücher