Die Menschenleserin
herausfinden.«
Dance und O’Neil hielten sich zurück. Es half niemandem weiter, irgendwelche Beschuldigungen zu erheben. O’Neil sagte, er werde sich darum kümmern. Dance wusste jedoch, dass er nichts unternehmen würde, und Overby gab sich mit diesem Versprechen zufrieden.
»Der Civic ist noch nirgendwo aufgefallen«, fuhr der Detective fort. »Aber wir hatten ausgesprochenes Pech mit dem Timing. Er könnte auf dem Achtundsechzig oder dem Eins Null Eins durchgerutscht sein. Den Achtundsechzig halte ich allerdings für unwahrscheinlich.«
»Stimmt«, pflichtete Overby ihm bei. Der kleinere Highway 68 führte in das dichtbevölkerte Monterey. Der 101 hingegen war breit wie eine Interstate und eröffnete Pell die Möglichkeit, jeden größeren Expressway des Staates zu erreichen.
»Es werden zurzeit neue Kontrollpunkte in Gilroy errichtet. Und etwa fünfzig Kilometer südlich von hier.« O’Neil markierte die entsprechenden Stellen mit Schmetterlingsklebezetteln.
»Die Busbahnhöfe und der Flugplatz werden überwacht?«, fragte Overby.
»Werden sie«, bestätigte Dance.
»Die Polizei von San Jose und Oakland wurde verständigt?«
»Ja. Außerdem Santa Cruz, San Benito, Merced, Santa Clara, Stanislaus und San Mateo.« Die umliegenden Bezirke.
Overby machte sich einige Notizen. »Gut.« Er blickte auf. »Ach, übrigens, ich habe mit Amy gesprochen.«
»Grabe?«
»Richtig.«
Amy Grabe war die Leiterin der FBI-Dienststelle San Francisco. Dance kannte die scharfsinnige, zielstrebige Kollegin gut. Das Zuständigkeitsgebiet ihrer CBI-Abteilung reichte im Norden bis zur Bay Area, sodass Dance und Grabe schon bei mehreren Gelegenheiten zusammengearbeitet hatten. Auch Kathryns verstorbener Ehemann, ein FBI-Agent der hiesigen Dienststelle, hatte Amy gekannt.
»Falls wir Pell nicht bald zu fassen bekommen, möchte ich einen Spezialisten hinzuziehen«, fuhr Overby fort.
»Einen Spezialisten wofür?«
»Jemanden vom FBI, der sich mit Situationen wie dieser auskennt.«
Pell ist aus der Haft entflohen, dachte Dance. Was für einen Spezialisten braucht man da? Ihr fiel unwillkürlich Tommy Lee Jones in Auf der Flucht ein.
Auch O’Neil war neugierig. »Ein Verhandlungsführer?«
»Nein, ein Experte für Kulte«, sagte Overby. »Er hat oft mit Leuten wie Pell zu tun.«
Dance zuckte die Achseln – eine unterstreichende Geste, die zur Bekräftigung einer Äußerung gedacht war, in diesem Fall ihrer Zweifel. »Nun, ich weiß nicht, wie nützlich das wäre.« Sie hatte schon häufig in gemischten Einsatzgruppen mitgearbeitet. Es ging ihr nicht darum, ihr Revier gegen das FBI oder sonst jemanden zu verteidigen, aber sobald unterschiedliche Behörden beteiligt waren, litt unweigerlich die Reaktionsgeschwindigkeit. Außerdem leuchtete ihr nicht ein, dass ein Kultführer sich auf der Flucht anders verhalten sollte als ein Mörder oder Bankräuber.
Doch Overby hatte sich bereits entschieden; sie erkannte es an seinem Tonfall und der Körpersprache. »Er ist ein erstklassiger Profiler und kann sich wirklich in die Köpfe dieser Leute versetzen. Die Kultmentalität ist eine ganz andere als die eines herkömmlichen Täters.«
Ach ja?
Overby gab Dance einen Zettel, auf dem ein Name und eine Telefonnummer standen. »Er ist in Chicago und schließt irgendeinen Fall ab, aber er kann heute Abend oder morgen früh hier sein.«
»Sind Sie sich sicher, Charles?«
»Wir sollten bei Pell jede Unterstützung nutzen, die wir kriegen können. Unbedingt. Und ein Fachmann aus Washington bedeutet mehr Sachkenntnis und eine Verstärkung für unser Team.«
Sowie notfalls einen weiteren Sündenbock, dachte Dance zynisch, als ihr klar wurde, worum es eigentlich ging. Grabe hatte angefragt, ob das FBI bei der Suche nach Pell behilflich sein könne, und Overby hatte die Chance sofort beim Schopf ergriffen. Falls es noch mehr unschuldige Opfer gäbe oder der Ausbrecher auf freiem Fuß bliebe, würden bei der Pressekonferenz zwei Leute auf dem Podium sitzen, nicht nur Overby allein. Aber Dance hörte nicht auf zu lächeln. »Also gut. Ich hoffe, wir erwischen Pell, bevor wir andere Leute bemühen müssen.«
»Ach, und Kathryn? Nur dass Sie es wissen: Amy hat sich erkundigt, wie es zu dem Zwischenfall kommen konnte, und ich habe ihr versichert, dass Ihr Verhör nichts damit zu tun hatte.«
»Mein... was?«
»Es wird kein Problem sein. Ich habe ihr gesagt, dass nichts, was Sie getan haben, irgendwie zu Pells Flucht beigetragen hat.«
Sie
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