Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
Vom Netzwerk:
Boygroups).
    Sie nahm das Gespräch entgegen. »Hallo?«
    »Ich bin’s, Agent Dance.«
    Im Hintergrund war es laut und das »ich« wenig aussagekräftig, aber die Aussprache ihres Namens verriet ihr, dass es sich bei dem Anrufer um Rey Carraneo handelte.
    »Was gibt’s?«
    »Keine Spur von seinem Partner oder weiteren Bomben. Der Sicherheitsdienst möchte wissen, ob die Leute wieder zurück ins Gebäude dürfen. Die Feuerwehr sagt, von ihrer Seite aus bestehen keine Bedenken.«
    Dance besprach sich mit O’Neil. Sie beschlossen, noch ein wenig zu warten.
    »TJ, geh raus und hilf bei der Suche. Es gefällt mir nicht, dass der Verbleib des Komplizen ungeklärt ist.«
    Ihr fiel ein, was ihr Vater zu ihr gesagt hatte, nachdem er vor der Nordküste Australiens beinahe mit einem großen weißen Hai aneinandergeraten war. »Der Hai, den man nicht sieht, ist immer gefährlicher als der, den man entdeckt hat.«

... Acht

    Der untersetzte, bärtige Mittfünfziger mit dem schütteren Haar stand in der Nähe des Gerichtsgebäudes und ließ den Blick über das Chaos schweifen. Seine scharfen Augen musterten jeden, die Polizeibeamten, die Wachleute, die Zivilisten.
    »He, Officer, wie geht’s, haben Sie eine Minute? Ich möchte Ihnen bloß ein paar Fragen stellen... Hätten Sie was dagegen, mir ein, zwei Worte auf Band zu sprechen?... Oh, sicher, ich verstehe. Wir sehen uns später. Natürlich. Viel Glück.«
    Morton Nagle hatte verfolgt, wie der Hubschrauber herangeflogen und auf dem Parkplatz gelandet war, um den verbrannten Cop abzutransportieren.
    Er hatte die Männer und Frauen bei der Suche beobachtet und aus ihrer Vorgehensweise – und ihren Gesichtern – geschlossen, dass sie noch nie mit einem Ausbruch zu tun gehabt hatten.
    Er hatte die verunsicherte Menge im Auge behalten, die anfangs von einem zufälligen Feuer und dann von einem Terroranschlag ausgegangen war. Als die Wahrheit sich herumsprach, wirkten die Leute sogar noch verängstigter, als hätte al-Qaida höchstpersönlich hinter der Explosion gesteckt.
    Und das sollten sie auch, dachte Nagle.
    »Verzeihung, könnten wir uns kurz unterhalten?... Oh, aber klar. Kein Problem. Lassen Sie sich nicht stören, Officer.«
    Nagle ging in der Menge umher. Er strich sich über das dünne Haar und zog dann seine ausgebeulte gelbbraune Hose zurecht. Dabei sah er sich aufmerksam um, sah die Löschzüge, die Streifenwagen, die Signallichter, die in dem nebligen Dunst mit gewaltigen Aureolen aufblinkten. Er hob seine Digitalkamera und schoss noch mehr Bilder.
    Eine Frau mittleren Alters betrachtete seine schäbige Weste – eine Anglerweste mit zwei Dutzend Taschen – und die abgenutzte Kameratasche. »Ihr angeblichen Journalisten , ihr seid wie die Geier«, schimpfte sie. »Warum lassen Sie die Polizei nicht ihre Arbeit machen?«
    Er lachte auf. »Ich wusste gar nicht, dass ich sie davon abhalte.«
    »Ihr seid alle gleich.« Die Frau wandte sich ab und starrte wieder wütend auf das qualmende Gerichtsgebäude.
    Ein Wachmann kam zu ihm und fragte ihn, ob er etwas Verdächtiges bemerkt habe.
    Na, das ist ja mal eine seltsame Frage, dachte Nagle. Wie in einer dieser alten Fernsehserien.
    Nur die Fakten, Ma’am ...
    »Nein«, antwortete er.
    Und fügte im Stillen hinzu: Zumindest nichts, was mich überrascht hätte. Aber vielleicht fragen Sie mit mir den Falschen.
    Einen Moment lang stieg ihm ein furchtbarer Geruch in die Nase – verbranntes Fleisch und Haare -, und das ließ ihn aus irgendeinem Grund erneut belustigt auflachen.
    Als er nun so darüber nachdachte – Daniel Pell hatte ihn auf diesen Gedanken gebracht -, wurde ihm klar, dass er häufig dann kichern musste, wenn andere Leute es für ungehörig oder gar geschmacklos gehalten hätten; in Momenten wie diesen: wenn er ein Blutbad sah. Im Laufe der Jahre hatte er unzählige gewaltsame Todesfälle zu Gesicht bekommen. Die meisten Menschen hätten sich von derartigen Bildern abgestoßen gefühlt.
    Von Bildern, die Morton Nagle oftmals zum Lachen brachten.
    Vermutlich war es eine Art Verteidigungsmechanismus. Eine Möglichkeit, die Gewalt – ein Thema, mit dem er sich gründlich auskannte – nicht zu nahe an sich heranzulassen, wenngleich er sich fragte, ob das Lachen nicht bedeutete, dass es längst geschehen war.
    Dann machte die Polizei eine Durchsage. Man würde den Zutritt zum Gerichtsgebäude bald wieder freigeben.
    Nagle zog sich die Hose hoch, schob den Gurt der Kameratasche weiter auf die Schulter und

Weitere Kostenlose Bücher