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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Geschwister aufgewachsen waren. (Sein Vater litt an Senilität; seine Mutter zog in Erwägung, das Haus zu Geld zu machen und ihren Mann in ein Pflegeheim zu geben. O’Neil hatte vor, das Haus selbst zu kaufen, damit es in der Familie blieb.)
    Mit dieser großen Zuneigung zu der Bucht, dem Angeln und seinem Boot hätte Michael O’Neil der standhafte, bescheidene Held in einem Roman von John Steinbeck sein können, wie Doc in Die Straße der Ölsardinen . Und tatsächlich besaß der Detective, der ein begeisterter Buchsammler war, Erstausgaben von sämtlichen Steinbeck-Werken. (Am liebsten mochte er Meine Reise mit Charley , ein Sachbuch, in dem der Autor eine Rundreise durch Amerika in Begleitung seines Pudels beschrieb. O’Neil hatte vor, irgendwann einmal die einzelnen Stationen dieses Buches zu besuchen.)
    Letzten Freitag hatten Dance und O’Neil einen dreißigjährigen Mann namens Ese verhaftet, Kopf einer besonders unangenehmen Gang aus mexikanischen Einwanderern, sogenannten Chicanos, die von Salinas aus tätig war. Abends hatten sie den Erfolg auf der von Touristen bevölkerten Terrasse eines Restaurants am Fisherman’s Wharf mit einer Flasche Sekt begossen.
    Nun schien diese Feier bereits Jahrzehnte zurückzuliegen. Sofern sie überhaupt stattgefunden hatte.
    Die Uniform des MCSO war typisch khakifarben, aber O’Neil zog meistens Zivilkleidung vor. Heute trug er einen marineblauen Anzug, keine Krawatte und ein dunkelgraues Hemd, dessen Farbton ungefähr dem der Hälfte seiner Haare entsprach. Die braunen Augen unter den halb geschlossenen Lidern glitten nun langsam über die Karte der Gegend. O’Neil war von auffallend massiger Statur, mit dicken Armen, die er nicht nur seinen Erbanlagen verdankte, sondern auch dem gelegentlichen Tauziehen mit kräftigen Fischen in der Monterey Bay, wenn Zeit und Wetter es ihm erlaubten, mit seinem Boot hinauszufahren.
    O’Neil nickte grüßend TJ und Sandoval zu.
    »Gibt’s schon was Neues von Juan?«, fragte Dance.
    »Ich kümmere mich darum.« Er und Millar arbeiteten häufig zusammen und gingen hin und wieder gemeinsam angeln. Dance wusste, dass er auf der Fahrt hierher in ständigem Kontakt mit den Ärzten und Millars Familie geblieben war.
    Das California Bureau of Investigation verfügt über keine allgemeine Funkzentrale, die Verbindung zu Streifen-und Krankenwagen oder beispielsweise Booten der Küstenwache aufnehmen könnte. Daher sorgte O’Neil dafür, dass die Zentrale des Sheriff’s Office die Information über den vermissten Worldwide-Express-Transporter an die eigenen Deputies und die Highway Patrol weitergab. Er wies darauf hin, dass innerhalb weniger Minuten nur noch der Wagen des Flüchtigen nicht an einer Tankstelle angehalten haben würde.
    O’Neil bekam einen Anruf, nickte und ging zu der Karte. Er klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter, nahm einen Block mit kleinen Haftnotizzetteln, die wie Schmetterlinge geformt waren, und klebte einen nach dem anderen auf den Stadtplan.
    Straßensperren, erkannte Dance.
    Er unterbrach die Verbindung. »Sie sind auf dem Achtundsechzig, dem Eins Dreiundachtzig, dem Eins Null Eins... Die Nebenstrecken nach Hollister, Soledad und Greenfield sind auch abgedeckt, aber falls er es ins Tal des Himmels schafft, wird man den Lieferwagen kaum noch erkennen können, nicht mal vom Hubschrauber aus – und es zieht Nebel auf.«
    Das »Tal des Himmels« war der Name, den John Steinbeck in dem Buch gleichen Titels einem fruchtbaren Tal voller Obstplantagen abseits des Highway 68 verliehen hatte. Das Gebiet rund um Salinas bestand überwiegend aus flachem, niedrigem Ackerland, aber es gab auch bewaldete Flächen. Und nicht weit entfernt lag die zerklüftete Gegend um Castle Rock, die mit ihren Klippen, Steilufern und Bäumen hervorragende Verstecke bot.
    »Falls Pells Partner nicht den Fluchtwagen fährt, wo steckt er dann?«, fragte Sandoval.
    »An irgendeinem vereinbarten Treffpunkt?«, mutmaßte TJ.
    »Oder er bleibt hier in der Nähe«, sagte Dance und wies aus dem Fenster.
    »Was?«, rief der Staatsanwalt ungläubig. »Warum sollte er das denn tun?«
    »Um herauszufinden, was wir unternehmen und was wir wissen. Oder was wir nicht wissen.«
    »Das klingt ein wenig zu... raffiniert, meinen Sie nicht?«
    TJ lachte und deutete auf die schwelenden Autowracks. »Ich würde sagen, das ist eine ziemlich treffende Bezeichnung für dieses ganze Theater.«
    »Vielleicht will er für irgendeine Verzögerung sorgen«,

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