Die Menschenleserin
abgefeuert hat«, sagte TJ. »Es stammt eindeutig aus seiner SIG.«
»Der Schuss hat sich unbeabsichtigt gelöst«, wandte Overby ein. »Locker bleiben, Kathryn, jemand muss hier schließlich den Advocatus Diaboli spielen.«
»Die Hülsen aus Pells Waffe am Strand lagen näher bei Kelloggs Standort als bei dem von Pell. Kellogg hat Pells Pistole vermutlich selbst abgefeuert, um es wie Notwehr aussehen zu lassen. Oh, und das Labor hat Sand in Kelloggs Handschellen gefunden. Das bedeutet, Kellogg...«
»Es deutet darauf hin«, korrigierte Overby.
»Das deutet darauf hin , dass Kellogg ihn entwaffnet hat, ihn aus der Deckung hervorkommen ließ und die Handschellen auf den Boden geworfen hat. Als Pell sie aufheben wollte, hat er ihn getötet.«
»Hören Sie, Charles«, sagte Dance. »Ich behaupte ja nicht, dass es ein Spaziergang wird, aber Sandoval kann den Fall gewinnen. Ich kann aussagen, dass Pell keine Bedrohung war, als er erschossen wurde. Das geht aus der Lage des Leichnams klar hervor.«
Overbys Blick glitt über den Schreibtisch und blieb an einem weiteren Angelfoto haften. »Und das Motiv?«
Hatte er vorhin etwa nicht zugehört? Offenbar nicht.
»Nun ja, seine Tochter. Er tötet jeden, der in Zusammenhang mit...«
Der CBI-Chef hob den Kopf und sah sie durchdringend an. »Nein, nicht Kelloggs Motiv für den Mord. Unser Motiv, den Fall zu verfolgen.«
Ah. So war das also. Er meinte natürlich Kathryns Motiv. War es Vergeltung, weil Kellogg sie hintergangen hatte? »Der Punkt wird nämlich zur Sprache kommen. Wir brauchen eine Antwort.«
Ihr Boss war heute richtig auf Draht.
Sie aber auch. »Winston Kellogg hat in unserem Zuständigkeitsbereich einen Mord begangen.«
Overbys Telefon klingelte. Er ließ es viermal trillern und hob dann ab.
»Das ist ein gutes Motiv«, flüsterte TJ. »Besser als wenn er dir ein lausiges Steak vorgesetzt hätte.«
Der CBI-Chef legte auf und musterte das Bild mit dem Lachs. »Wir haben Besuch.« Er rückte seine Krawatte zurecht. »Das FBI ist hier.«
»Charles, Kathryn...«
Amy Grabe nahm die Tasse Kaffee, die Overbys Assistentin ihr brachte, und setzte sich. Sie nickte TJ zu.
Dance entschied sich für einen Stuhl mit gerader Lehne neben der attraktiven, aber sachlich-kühlen Leiterin der FBI-Dienststelle San Francisco. Sie wählte nicht die bequemere, aber niedrigere Couch gegenüber der Frau; wenn man auch nur zwei oder drei Zentimeter tiefer sitzt als jemand anders, befindet man sich bereits im psychologischen Nachteil. Dann schilderte Dance der FBI-Agentin die jüngsten Einzelheiten über Kellogg und Nimue.
Grabe kannte einen Teil, aber nicht die ganze Geschichte. Sie hörte stirnrunzelnd und reglos zu, ganz anders als zuvor der zappelige Overby. Ihr rechter Arm ruhte auf dem anderen Ärmel ihres modischen dunkelroten Kostüms.
Dance brachte ihre Argumente vor. »Er hat im Dienst Morde begangen, Amy. Er hat uns angelogen. Er hat auf einen taktischen Zugriff bestanden, obwohl keiner nötig war. Ein Dutzend Leute hätten zu Schaden kommen und einige sogar getötet werden können.«
Overbys Bleistift wirbelte wie ein Trommelstock hin und her, und TJs kinesische Signale besagten: Okay, das ist jetzt ein wirklich peinlicher Moment.
Grabes Augen unter den perfekt gezupften Brauen schweiften über alle Anwesenden. »Das ist alles sehr kompliziert und schwierig«, sagte sie. »Ich bin mir dessen bewusst. Aber was auch immer geschehen ist, ich habe einen Anruf erhalten. Man möchte, dass er freigelassen wird.«
»Man... die Neunte Straße?«
Sie nickte.
»Und höher. Kellogg ist ein Star. Mit einer erstklassigen Festnahmequote. Er hat Hunderte von Leuten vor diesen Kulten gerettet. Es wird Sie vielleicht trösten, dass ich mit der Chefetage geredet habe. Man wird eine interne Untersuchung durchführen, sich die Zugriffe ansehen und überprüfen, ob er unangemessene Gewalt angewendet hat.«
»Mit der durchschlagskräftigsten Faustfeuerwaffe der Welt«, warf TJ ein und verstummte dann unter dem vernichtenden Blick seines Chefs.
»Man wird sich die Zugriffe ansehen?«, fragte Dance ungläubig. »Wir reden hier von fragwürdigen Todesfällen, von inszenierten Selbstmorden, Amy. O bitte. Das ist eine Vendetta. Schlicht und einfach. Herrje, sogar Pell hatte nichts mit Rache am Hut. Und wer weiß, was Kellogg noch angestellt hat.«
»Kathryn«, warnte Overby.
»Er hat als Bundesagent Verbrechen untersucht, die von ausgesprochen gefährlichen und gerissenen
Weitere Kostenlose Bücher