Die Menschenleserin
Kennungsübermittlung des Telefons aus und rief den Verlag an. Eine Frau meldete sich. »Hallo«, sagte Dance. »Hier ist die El Camino Boutique. Wir haben eine Lieferung für Sarah Starkey, aber unser Fahrer sagt, sie sei heute Morgen nicht bei der Arbeit gewesen. Wissen Sie, wann sie kommt?«
»Sarah? Ich fürchte, da liegt ein Irrtum vor. Sie ist seit halb neun hier.«
»Wirklich? Tja, dann rede ich noch mal mit dem Fahrer. Vielleicht sollten wir die Sachen lieber zu ihr nach Hause liefern. Bitte erzählen Sie Mrs. Starkey nichts davon. Es ist eine Überraschung.« Dance legte auf. »Sie war den ganzen Vormittag da.«
TJ klatschte Beifall. »Und der Oscar für die beste Darstellung einer Polizistin, die die Öffentlichkeit belügt, geht an...«
O’Neil runzelte die Stirn.
»Bist du mit meiner subversiven Technik nicht einverstanden?«, fragte Dance.
»Doch«, sagte O’Neil auf seine typisch lakonische Art. »Nur musst du ihr jetzt irgendetwas schicken. Die Empfangsdame wird dich verraten und der Frau erzählen, sie habe einen geheimen Verehrer.«
»Ich weiß was, Boss. Schick ihr einen dieser großen Blumensträuße. ›Herzlichen Glückwunsch, Sie sind keine Verdächtige.‹«
Dances Assistentin, die kleine, resolute Maryellen Kresbach kam mit einem Tablett herein und brachte Kaffee für alle (Dance bat sie nie darum; Maryellen brachte ihn einfach). Die dreifache Mutter trug laute Stöckelschuhe und hatte eine Vorliebe für komplizierte Frisuren und eindrucksvolle Fingernägel.
Das Team im Konferenzraum bedankte sich. Dance trank einen Schluck. Der Kaffee war erstklassig. Sie wünschte, Maryellen hätte ein paar der Kekse mitgebracht, die in einem großen Glas auf ihrem Schreibtisch standen, und beneidete sie um die Fähigkeit, sowohl eine vorbildliche Hausfrau als auch die beste Assistentin zu sein, die Dance je gehabt hatte.
Ihr fiel auf, dass Maryellen nicht wieder hinausging.
»Ich weiß nicht, ob das der richtige Zeitpunkt ist. Aber Brian hat angerufen.«
»Ach ja?«
»Er sagte, Sie hätten seine Nachricht am Freitag vielleicht nicht erhalten.«
»Sie haben sie mir ausgerichtet.«
»Ich weiß. Aber das habe ich ihm nicht gesagt. Also?«
Dance spürte O’Neils Blick auf sich ruhen. »Okay, danke.«
»Wollen Sie seine Nummer?«
»Die habe ich.«
»Okay.« Ihre Assistentin nickte langsam, blieb aber stehen.
Allmählich wird’s heikel, dachte Dance.
Sie wollte nicht über Brian Gunderson sprechen.
Das Klingeln des Telefons rettete sie.
Sie hob ab, hörte kurz zu und sagte: »Lassen Sie ihn sofort in mein Büro bringen.«
... Elf
Der massige Mann in der Uniform eines kalifornischen Gefängniswärters saß vor ihrem Schreibtisch, einem gewöhnlichen Behördenmöbel, auf dem ein paar Stifte lagen sowie einige Auszeichnungen, eine Lampe und Fotos standen: von den beiden Kindern, von Dance mit einem gut aussehenden grauhaarigen Mann, von ihrer Mutter und ihrem Vater und von zwei Hunden, jeweils mit einem der Dance-Sprösslinge. Außerdem lag auf der billig beschichteten Tischplatte ein Dutzend Akten, mit der Oberseite nach unten.
»Das ist furchtbar«, sagte Tony Waters, ein Oberaufseher der Strafanstalt Capitola. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid es mir tut.«
Dance nahm in der verstörten Stimme den Anflug eines südöstlichen Akzents wahr. Die Monterey Halbinsel zog Leute aus aller Welt an. Im Augenblick waren Dance und Waters allein. Michael O’Neil erkundigte sich bei der Spurensicherung nach den Erkenntnissen vom Schauplatz des Ausbruchs.
»Sie sind für den Zellenblock verantwortlich, in dem Pell gesessen hat?«, fragte Dance.
»Richtig.« Der beleibte Waters saß vorgebeugt und mit hängenden Schultern auf seinem Stuhl. Dance schätzte ihn auf Mitte fünfzig.
»Hat Pell Ihnen gegenüber erwähnt, wohin er will?«
»Nein, Ma’am. Ich zermartere mir deswegen schon die ganze Zeit das Hirn. Das war das Erste, als ich vorhin von der Flucht erfahren habe. Ich habe mich hingesetzt und bin alles durchgegangen, was er in den letzten ein, zwei Wochen gesagt hat. Aber nein, da war nichts. Daniel hat überhaupt kaum geredet. Zumindest nicht mit uns, den Aufsehern.«
»Hat er Zeit in der Bücherei verbracht?«
»Jede Menge. Er hat ständig gelesen.«
»Kann man die Titel herausfinden?«
»Die Häftlinge dürfen nichts aus der Bücherei ausleihen. Was einer dort im Raum liest, wird nicht registriert.«
»Wie steht’s mit Besuchern?«
»Keine im letzten Jahr.«
»Und
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