Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
Vom Netzwerk:
Anrufe? Werden die verzeichnet?«
    »Ja, Ma’am. Aber nicht mitgeschnitten.« Er überlegte. »Pell hat nur wenige Anrufe erhalten, abgesehen von Reportern, die ihn interviewen wollten. Aber auf die hat er nie reagiert. Ich glaube, er hat ein-oder zweimal mit seiner Tante gesprochen. Sonst kann ich mich an niemanden erinnern.«
    »Was ist mit Computern, mit E-Mails?«
    »Nicht für die Gefangenen. Das Personal hat natürlich Zutritt. Die Computer stehen in einem besonderen Bereich – einer Kontrollzone. Da sind wir sehr strikt. Wissen Sie, ich hab mich das auch gefragt, ob er mit jemandem von draußen kommuniziert hat...«
    »Was auf jeden Fall passiert ist«, betonte Dance.
    »Stimmt. Es muss über einen der Häftlinge gelaufen sein, die entlassen wurden. Die sollten Sie sich mal genauer ansehen.«
    »Ist mir auch schon in den Sinn gekommen. Ich habe mit Ihrer Direktorin gesprochen. Sie sagt, im letzten Monat habe es nur zwei Entlassungen gegeben, und laut Auskunft der zuständigen Bewährungshelfer hätten die Leute für heute Morgen ein Alibi. Sie könnten natürlich Botschaften an jemand anderen weitergeleitet haben. Das wird zurzeit noch überprüft.«
    Dance war nicht entgangen, dass Waters mit leeren Händen vor ihr saß. »Hat man Ihnen ausgerichtet, dass wir um den Inhalt von Pells Zelle gebeten haben?«, fragte sie nun.
    Die Miene des Aufsehers verfinsterte sich. Er schüttelte den Kopf und sah zu Boden. »Ja, Ma’am. Aber seine Zelle war leer. Es war absolut nichts drin. Sogar schon seit ein paar Tagen.« Er blickte auf und schien über etwas nachzudenken. Seine Lippen wurden schmal, und die Augen senkten sich wieder. »Es ist mir nicht aufgefallen.«
    »Was?«
    »Die Sache ist die. Ich habe in San Quentin, Soledad und Lompoc gearbeitet. Und noch in einem halben Dutzend anderer Knäste. Wir lernen, auf bestimmte Dinge zu achten. Wissen Sie, wenn etwas Großes sich ankündigt, ändern sich die Zellen der Insassen. Sachen verschwinden – weil sie Rückschlüsse auf den Fluchtversuch zulassen oder Beweise für irgendwelchen Mist sind, den der Gefangene in der Haft begangen hat und von dem wir nichts erfahren sollen. Oder Hinweise auf irgendeine Scheiße, die er noch bauen wird . Denn er weiß, dass wir seine Zelle hinterher mit einem Mikroskop absuchen werden.«
    »Und bei Pell hat es Sie nicht stutzig gemacht, dass er alles rausgeworfen hat?«
    »Aus Capitola ist noch nie jemand ausgebrochen. Es ist unmöglich. Und die Häftlinge werden so gründlich überwacht, dass sie sich nicht einmal gegenseitig an die Wäsche gehen können. Äh, sich nicht einmal gegenseitig umbringen können, meine ich.« Der Mann war rot geworden. »Ich hätte es besser wissen müssen. Wäre das in Lompoc passiert, hätte ich sofort angenommen, dass etwas in der Luft liegt.« Er rieb sich die Augen. »Ich hab’s verpatzt.«
    »Wer soll denn auch so etwas ahnen?«, beruhigte Dance ihn. »Dass einer seine Zelle ausmistet und dann abhaut.«
    Er zuckte die Achseln und musterte seine Fingernägel. Der Mann trug keinen Schmuck, aber Dance sah den Abdruck eines Eherings. In diesem Fall hatte es wohl ausnahmsweise nichts mit Untreue, sondern mit seinem Beruf zu tun. Wenn man ständig zwischen gefährlichen Verbrechern umherlief, war es vermutlich besser, nichts bei sich zu tragen, das gestohlen werden könnte.
    »Das klingt, als seien Sie schon lange in diesem Geschäft.«
    »O ja. In bin direkt von der Armee in den Strafvollzug gewechselt und immer dabeigeblieben.« Er strich sich über den Bürstenhaarschnitt und grinste. »Manchmal kommt es mir wie eine Ewigkeit vor. Und manchmal, als wäre es erst gestern gewesen. Noch zwei Jahre bis zur Rente. Irgendwie wird es mir fehlen.« Er war erleichtert, weil ihm klar wurde, dass man ihm nicht vorwarf, die Flucht nicht vorhergesehen zu haben.
    Dance fragte ihn nach seinem Zuhause, seiner Familie. Er sei verheiratet, sagte er und hielt lachend die linke Hand hoch; Kathryns Schlussfolgerung hinsichtlich des Rings erwies sich als korrekt. Er und seine Frau hätten zwei Kinder, und beide würden es aufs College schaffen, fügte er stolz hinzu.
    Doch während sie plauderten, blinkte in Dance ein stiller Alarm. Es gab ein schwerwiegendes Problem.
    Tony Waters log.
    Viele Unwahrheiten werden schlicht deswegen nicht bemerkt, weil das Gegenüber nicht damit rechnet, belogen zu werden. Dance hatte Waters hergebeten, weil sie sich Informationen über Daniel Pell erhoffte, und befand sich daher nicht im

Weitere Kostenlose Bücher