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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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enger, die Wände standen gerade weit genug auseinander, dass Vermithrax in niedriger Höhe hindurchjagen konnte. Zwei Sonnenbarken waren ihnen in das Felslabyrinth gefolgt, während die beiden anderen über das Gewirr der Spalten hinwegglitten und darauf lauerten, dass der Obsidianlöwe wieder auftauchte. Vermithrax fiel es nicht schwer, um scharfe Winkel und Kurven zu fliegen, während die lang gestreckten Sonnenbarken vor jeder Biegung verlangsamen mussten, um nicht gegen die Felsen zu prallen.
    Unter ihnen füllte sich die Schlucht mit Wasser. Der tote Arm eines Bachs oder Bergsees. Vermithrax folgte seinem Verlauf, und bald rasten sie über die Oberfläche eines Flusses hinweg. Die Felswände standen jetzt weiter auseinander und boten den Sonnenbarken ausreichend Platz zum Manövrieren. Doch noch war Vermithrax’ Vorsprung zu groß, und auch die beiden Barken oberhalb der Spalten hatten sie noch nicht entdeckt.
    »Wir können nicht ewig so tieffliegen, wenn wir auf die andere Seite des Gebirges wollen.«
    »Erst mal müssen wir überleben, oder?«
    »Ich versuche nur, die Dinge zu planen, Merle. Sonst nichts.«
    Es fiel Merle schwer, sich zu konzentrieren. Nicht bei dieser Geschwindigkeit, nicht mit dem Tod im Nacken. Dem Sammler mochten sie entkommen sein, aber die Sonnenbarken befanden sich immer noch hinter ihnen.
    »Vermithrax!« Sie beugte sich zum Ohr des Löwen vor und versuchte, den Lärm des Windes zu übertönen. »Was hast du jetzt vor?«
    »Sonnenuntergang«, erwiderte er knapp. An seinem Tonfall bemerkte sie, dass er erschöpfter war, als sie angenommen hatte. Tatsächlich war es ihr noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass auch einem Geschöpf wie Vermithrax schlichtweg die Puste ausgehen konnte.
    Die Strömung unter ihnen wurde schneller. Merle sah, dass das Wasser nicht mehr rot leuchtete, wie noch vor wenigen Minuten, sondern nur die schattigen Felswände widerspiegelte. Auch der Himmel hatte an Glut verloren und verfärbte sich zu einem violetten Blau.
    Am liebsten hätte sie geschrien vor Erleichterung. Vermithrax behielt Recht, sein Plan ging auf. Er hatte die Ägypter ausgetrickst. Die Sonnenbarken blieben verschwunden. Merle stellte sich vor, wie die sichelförmigen Flugschiffe im Kriechtempo zum Sammler zurückkehrten, lahm gelegt vom fehlenden Tageslicht, so nutzlos wie ein Stück Eisenschrott.
    Der Fluss wurde reißender, tobender, vor allem aber lauter, und bald tauchte vor ihnen eine weiße Schaumkrone auf, die sich quer über die gesamte Breite des Gewässers zog. Dahinter war nichts als Dunkelheit.
    Vermithrax raste mit einem jubelnden Ausruf über den Wasserfall hinweg, der Boden sackte auf einen Schlag um hundert Meter ab. Der Obsidianlöwe hielt seine Höhe, sodass Merle weit über das Land am Fuß der Berge blicken konnte, über Wälder und Wiesen, schlummernd in der Finsternis der anbrechenden Nacht. Der Löwe verlangsamte seinen Flügelschlag, aber er setzte unbeirrt seinen Flug fort. Merle starrte lange stumm auf die dahinziehende Landschaft, bevor sie erneut ihr Wort an die Königin richtete.
    »Was weißt du über diesen Seth?«, fragte sie die Stimme in ihrem Inneren.
    » Nicht viel. Anhänger des Horuskultes haben den Pharao vor über dreißig Jahren zurück ins Leben gerufen. Seitdem stellen sie die Hohepriester des Imperiums. Es heißt, Seth sei schon damals ihr Oberhaupt gewesen.«
    »So alt hat er gar nicht ausgesehen.«
    »Nein. Aber welchen Unterschied macht das?«
    Merle überlegte, wie sie einem zeitlosen Wesen wie der Königin klarmachen konnte, dass das Äußere eines Menschen Aufschluss über sein Alter geben sollte. Tat es das nicht, konnte das zweierlei bedeuten: Entweder derjenige zeigte nicht sein wahres Gesicht, oder aber er sah aus wie ein Mensch, war aber in Wirklichkeit keiner. Zumindest kein Sterblicher.
    Als Merle keine Anstalten machte, die Frage zu beantworten, fuhr die Königin fort: »Die Horuspriester haben viel Macht. In Wahrheit sind sie es, die die Geschicke des Imperiums lenken. Der Pharao ist nur ihre Puppe.«
    »Das würde ja bedeuten, dass Seth, wenn er der oberste Horuspriester und noch dazu der Wesir des Pharaos ist, dass also er -«
    »Der wahre Herrscher Ägyptens ist. Allerdings.«
    »Und der Welt.«
    » Unglücklicherweise. «
    »Glaubst du, wir werden ihm noch einmal begegnen?«
    »Du solltest beten, dass das nicht geschieht.«
    »Zur Fließenden Königin? Wie ganz Venedig es wahrscheinlich gerade tut?« Die Worte taten ihr gleich

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