DIE MEROWINGER: Familiengruft
erreichen zu wollen. Sie hörte kaum noch zu, als die drei Männer nun wieder über die bevorstehende Jagd redeten und großsprecherisch ein paar frühere Abenteuer mit Auerochsen zum Besten gaben.
Allmählich wurde es dunkel und kühl, und sie wollte schon aufstehen und sich ein Nachtlager suchen, als Chlodwig sich ihr wieder zuwandte und ein paar Fragen stellte. Schließlich wollte er wissen, ob nach seinem Aufbruch aus Soissons noch weitere Hochzeitsgäste eingetroffen seien.
Lanthild nannte die Namen zweier Antrustionen, die in den eroberten Städten Garnisonen kommandierten, und eines fränkischen Gutsbesitzers aus der Umgebung der Hauptstadt.
Diese Männer gehörten zum neuen Adel der Franken, der sich seit der Eroberung des Syagrius-Reiches in wenigen Jahren über die Masse der Freien erhoben hatte. Sie waren standesgemäß in Soissons eingezogen, mit ihren Familien, großem Gefolge und Wagen voller Hochzeitsgeschenke.
»Ihre Familien haben sie also auch mitgebracht«, sagte Chlodwig. »Obwohl die gar nicht geladen sind.«
»Das kannst du ihnen nicht krummnehmen«, erwiderte Lanthild, die in der Stimmung war, ihren Bruder zu verletzen, sei es mit Nadelstichen. »Für sie alle sind Hochzeiten große Familienfeste. Da ist es selbstverständlich, dass keiner, der dazugehört, fehlen darf. Baudin sagte mir sogar, er freue sich darauf, endlich mal die ganze Sippe der Merowinger kennenzulernen. Darauf habe ich nichts geantwortet. Oder sollte ich ihm sagen, dass König Chlodwig von seiner Verwandtschaft, all den Nachfahren seiner göttlichen Ahnen, nichts mehr wissen will?«
»Nein, Herrin, das wäre auch nicht die Wahrheit gewesen«, sagte Ursio und setzte sein boshaftes Grinsen auf. »Unser König kümmert sich sogar sehr liebevoll um seine Verwandtschaft. Habe ich recht, König?«
»Ja, du hast recht«, sagte Chlodwig. Er richtete seinen düsteren, stieren Blick auf die Schwester und fuhr fort: »Gerade heute sind einige unserer Verwandten hier angekommen. Ursio hat sie herbegleitet.«
»Wie?«, sagte Lanthild. »Du selbst hast sie zur Hochzeit geladen?«
***
Lanthild war von Chlodwig beauftragt worden, durch Boten in alle Teile des Reiches Einladungen zu versenden. Natürlich hatte sie nicht versäumt, sämtliche Merowinger zu laden, deren Verbleib sich ermitteln ließ. Chlodwig hatte ihr nahegelegt, eifrig zu forschen und so viele wie möglich ausfindig zu machen.
Mit ihrer Mutter und alten Männern, die schon unter Childerich und seinem Vater zur Gefolgschaft gehört hatten, war sie allen Spuren nachgegangen, um die weitverzweigte Sippe zusammenzubringen.
Von Chararich in Tongeren erhielten die Boten, wie zu erwarten, eine schroffe Absage. Aber auch andere Merowinger, von denen Feindseligkeit nicht zu erwarten war, blieben aus.
In einigen Fällen brachten die Boten die Nachricht, die Männer, Jünglinge oder Knaben seien kürzlich gestorben. Andere waren nicht aufzufinden gewesen.
Die Auskünfte, die man den Boten gab, waren teilweise dunkel und verwirrend.
Kurz vor dem Hochzeitstag hatten erst wenige weibliche Mitglieder der Sippe in Begleitung ihrer Ehemänner und Kinder den Weg nach Soissons gefunden. Sie gehörten dem einfachen Landvolk an und lebten in Armut. Man konnte nicht gerade stolz auf sie sein.
Lanthild fürchtete, Chlodwig werde sich vor seinen ranghohen Gästen, besonders den vornehmen Gallorömern, dieser Verwandten schämen, wusste jedoch nicht, wie sie sie wieder loswerden sollte. Unerklärlich war ihr, dass keine Männer der stolzen Sippe mit ihren Familien zur Hochzeit erschienen.
Um Chlodwigs Tadel zuvorzukommen, beschloss sie, sich vor ihm zu rechtfertigen und ihm zu sagen, sie habe alles unternommen, was möglich war. Wenn er zum Hochzeitstag achtbare Onkel und Vettern sehen wolle, müsse er aber wohl Militär mit Befehlen zu ihnen schicken.
Als Lanthild eintraf, fand sie den Bruder in einem umzäunten Gehege, wo er sich mit seinen Wölfen beschäftigte. Ab und zu fing er einen in einer der Gruben, die am Rande des Gutes angelegt waren.
Er hatte sich in den Kopf gesetzt, Wölfe zu seinen Diensten abzurichten wie Hunde, weil er der Meinung war, sie passten besser zu einem König.
An diesem Tag war ihm ein frischer Fang geglückt. Er hatte den jungen Wolf zu einem älteren in eines der Gehege gesperrt und lockte nun beide mit einem Stück Pferdefleisch. Er war der Einzige, der sich hineinwagte zu den Wölfen. Sie belauerten ihn und schlichen um ihn herum, aber niemals
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