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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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nicht … willst du keinen Orgasmus?«
    »Ich hab, was ich wollte.«
    Er schüttelte verwirrt den Kopf. Sein Penis war schlaff und geschrumpft. »Ich hätt es wissen müssen«, murmelte er ratlos. »Aber ich wusste es nicht. Ich weiß gar nichts mehr.«
    »Zieh dich an«, befahl sie. »Verschwinde.«
    Mit geübten, sparsamen Bewegungen zog er seine Sachen an, er begann mit den Socken. Dann beugte er sich über sie, um sie zu küssen.
    Sie drehte den Kopf weg. »Nein.«
    »Kann ich dich wiedersehen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«
    Er zitterte am ganzen Leib. »Was ist mit dem Geld?«, fragte er.
    »Ich habe dich schon bezahlt. Als du reingekommen bist. Weißt du nicht mehr?«
    Er nickte nervös, so als könne er sich nicht erinnern, wage aber nicht, das einzugestehen. Dann klopfte er seine Taschen ab, bis er den Umschlag mit dem Geld ertastete, und nickte noch einmal. »Ich fühle mich so leer«, sagte er kläglich.
    Sie nahm kaum zur Kenntnis, dass er ging.
    Sie lag auf dem Bett, eine Hand auf ihrem Bauch, wo sein Sperma langsam erkaltete und trocknete und sie kostete ihn in Gedanken.
    Sie kostete jede Frau, mit der er geschlafen hatte. Sie kostete, was er mit ihrer Freundin tat, und lächelte über Natalies kleine Perversitäten vor sich hin. Sie schmeckte den Tag, als er seinen ersten Job verloren hatte. Den Morgen, da er betrunken in seinem Wagen inmitten eines Kornfelds aufgewacht war und, zu Tode erschrocken, der Flasche für immer abgeschworen hatte. Sie kannte seinen wahren Namen. Sie erinnerte sich an den Namen, der einmal auf seinem Arm eintätowiert gewesen war, und verstand, warum er nicht mehr dort sein konnte. Sie kostete die Farbe seiner Augen von innen betrachtet und sie schauderte über seinen Albtraum, in dem man ihn zwang, Stachelfische in den Mund zu nehmen, und aus dem er Nacht für Nacht in Panik aufschreckte. Sie ließ sich seinen Geschmack in Essen und Büchern und Filmen auf der Zunge zergehen und entdeckte den dunklen Himmel, zu dem er als kleiner Junge aufgestarrt und die Weite und Unermesslichkeit der Sterne bestaunt hatte, diesen Himmel, den er selbst längst vergessen hatte.
    Selbst im uninteressantesten Material, das so gar nichts zu versprechen schien, konnte man manchmal echte Schätze entdecken, hatte sie festgestellt. Und er hatte die Gabe im kleinen Rahmen gar selbst besessen, auch wenn er sie nie verstanden oder für irgendetwas anderes als Sex genutzt hatte. Während sie in seinen Erinnerungen und Träumen dahinschwamm, fragte sie sich, ob er sie vermissen würde, ob er überhaupt merken würde, dass sie verschwunden waren. Und dann endlich kam sie, schaudernd, ekstatisch in blendenden Blitzen, die sie wärmten und aus sich heraus in die Nirgendwo-Vollkommenheit eines kleinen Todes transportierten.
    Unten auf der Straße erklang ein Scheppern. Irgendwer war über eine Mülltonne gestolpert.
    Sie setzte sich auf und wischte die klebrige Masse von ihrem Körper. Und dann begann sie sich anzuziehen, ohne zuvor zu duschen. Sie tat es bedächtig, begann mit ihrem weißen Baumwollslip und endete mit den ausgefallenen Silberohrringen.

Babynahrung

    Vor ein paar Jahren verschwanden die Tiere.
    Eines Morgens wachten wir auf und sie waren einfach nicht mehr da. Sie hatten nicht mal einen Abschiedsbrief hinterlassen oder Auf Wiedersehen gesagt. Wir kamen nie so recht dahinter, wohin sie gegangen waren.
    Wir haben sie vermisst.
    Manche von uns dachten, es sei das Ende der Welt, aber das stimmte nicht. Es waren eben einfach nur keine Tiere mehr da. Keine Katzen oder Kaninchen, keine Hunde und Wale, keine Fische im Meer und keine Vögel am Himmel.
    Wir waren ganz allein.
    Wir wussten nicht, was wir tun sollten.
    Eine Weile liefen wir wie verirrt umher, aber dann wies jemand darauf hin, dass das Verschwinden der Tiere kein Grund sei, unsere Lebensgewohnheiten zu ändern. Kein Grund, unsere Ernährung umzustellen oder damit aufzuhören, Versuchsreihen mit Produkten durchzuführen, die uns schaden könnten.
    Denn schließlich gab es ja noch die Babys.
    Babys können nicht sprechen. Sie können sich kaum bewegen. Ein Baby ist kein rationales, denkendes Geschöpf.
    Wir machten Babys.
    Und wir benutzten sie.
    Manche haben wir gegessen. Babyfleisch ist zart und saftig.
    Wir häuteten sie und schmückten uns mit ihrer Haut. Babyleder ist weich und angenehm zu tragen.
    Manche verwendeten wir für Tests.
    Wir hielten ihre Augen mit Klebestreifen geöffnet und tröpfelten Seifen und

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