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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Luzifer war bleich. Zephkiel saß in seinem Sessel und betrachtete mich gelassen.
    Ich wandte mich an Phanuel und Luzifer. ›Ihr wart Zeuge der Rache des Herrn‹, sagte ich. ›Lasst es euch eine Warnung sein.‹
    Phanuel nickte. ›Das war es. O, das war es. Ich … ich mache mich auf den Weg. Ich würde gern an meine Arbeit zurückkehren. Wenn du erlaubst?‹
    ›Geh.‹
    Er stolperte zum Fenster und warf sich ins Licht, während er heftig mit den Flügeln schlug.
    Luzifer trat zu der Stelle, wo Saraquael gestanden hatte. Er kniete sich hin und starrte auf den Silberboden hinab, so als suche er verzweifelt nach irgendwelchen Überresten des Engels, den ich vernichtet hatte, ein Ascheflöckchen, einen Knochen oder eine verkohlte Feder, aber es gab nichts zu finden. Dann blickte er zu mir auf.
    ›Das war nicht richtig‹, sagte er. ›Nicht gerecht.‹ Er weinte. Tränen rannen über sein Gesicht. Vielleicht war Saraquael der Erste, der liebte, doch Luzifer war der Erste, der Tränen vergoss. Das werde ich niemals vergessen.
    Ich erwiderte seinen Blick unbewegt. ›Es war Gerechtigkeit. Er hatte einen anderen getötet. Darum musste er getötet werden. Du hast mich aufgefordert, meine Aufgabe zu erfüllen, und das habe ich getan.‹
    ›Aber … er hat geliebt . Er hätte Vergebung finden müssen. Und Hilfe. Er hätte nicht einfach so vernichtet werden dürfen. Das war unrecht .‹
    ›Es war Sein Wille.‹
    Luzifer erhob sich. ›Dann ist es vielleicht Sein Wille, der unrecht ist. Vielleicht haben die Stimmen in der Finsternis doch Recht. Wie kann dies hier recht sein?‹
    ›Es ist recht. Es ist Sein Wille. Ich habe nur meinen Zweck erfüllt.‹
    Er wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. ›Nein‹, sagte er entschieden. Er schüttelte den Kopf, nachdrücklich und langsam. ›Ich muss darüber nachdenken. Ich werde jetzt gehen.‹
    Er ging zum Fenster, trat in den Himmel hinaus und war verschwunden.
    Zephkiel und ich blieben allein in seiner Zelle zurück. Ich ging zu seinem Sessel hinüber. Er nickte mir zu. ›Du hast deine Aufgabe gut gemacht, Raguel. Solltest du jetzt nicht zu deiner Zelle zurückkehren und warten, bis du das nächste Mal gerufen wirst?‹«
    Der Mann auf der Bank wandte sich mir zu und suchte meinen Blick. Bisher hatte ich den Eindruck gehabt, er sei sich meiner Anwesenheit kaum bewusst. Er hatte vor sich hin gestarrt und seine Geschichte in einer Art monotonem Flüstern erzählt. Jetzt war es plötzlich, als habe er mich entdeckt und spreche zu mir allein, nicht zur Nacht oder der Stadt der Engel. Und er sagte:
    »Ich wusste, dass er Recht hatte. Aber ich hätte in dem Moment nicht gehen können, selbst wenn ich gewollt hätte. Meine Erscheinung war noch nicht vollständig abgeklungen, mein Zweck noch nicht ganz erfüllt. Dann erkannte ich plötzlich die Wahrheit und alles ergab einen Sinn. Und genau wie Luzifer fiel ich auf die Knie, berührte den Silberboden mit der Stirn. ›Nein, Herr‹, sagte ich. ›Noch nicht.‹
    Zephkiel erhob sich aus seinem Sessel. ›Steh auf. Es ist unpassend für einen Engel, sich einem anderen gegenüber so zu verhalten. Nicht recht. Steh auf!‹
    Ich schüttelte den Kopf. ›Vater, Du bist kein Engel‹, flüsterte ich.
    Zephkiel schwieg. Einen Augenblick war mein Herz von bösen Ahnungen erfüllt, ich fürchtete mich. ›Vater, mir wurde aufgegeben herauszufinden, wer für Carasels Tod verantwortlich ist. Und ich weiß, wer verantwortlich ist.‹
    ›Du hast deine Rache geübt, Raguel.‹
    › Deine Rache, Herr.‹
    Und dann seufzte er und setzte sich wieder. ›Ach, kleiner Raguel. Das Problem mit den Dingen, die man erschafft, ist, dass sie so viel besser funktionieren, als man je geplant hat. Darf ich fragen, wie du mich erkannt hast?‹
    ›Ich … ich bin nicht sicher, Herr. Du hast keine Flügel. Du wartest im Zentrum der Stadt und überwachst die Schöpfung unmittelbar. Als ich Saraquael vernichtet habe, hast Du den Blick nicht abgewandt. Du weißt zu viele Dinge. Du …‹ Ich unterbrach mich und überlegte einen Moment. ›Nein, ich weiß nicht, wieso ich es weiß. Wie Du sagtest, Du hast mich so erschaffen, dass ich gut funktioniere. Aber ich habe erst begriffen, wer Du bist und welche Bedeutung dieses Drama hier hatte, als Luzifer ging.‹
    ›Was hast du begriffen, Kind?‹
    ›Wer Carasel getötet hat. Oder wer zumindest die Fäden in der Hand hatte und aus dem Hintergrund manipulierte. Wer hat beispielsweise veranlasst, dass

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