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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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charismatische König wurde. Ich dachte an eine Art Segnung, eine Gabe, die wieder weggenommen wird.
    Wie besessen verschlang ich den Rest der Dokumentation. Dann, während ein Schwarzweißfoto eingeblendet war, sagte der Sprecher etwas. Ich spulte zurück und er sagte es noch mal.
    Ich hatte eine Idee. Ich hatte ein Buch, das sich von selbst schrieb.
    Was der Sprecher gesagt hatte, war dies: Die Kinder, die Manson mit den Frauen der »Family« gezeugt hatte, waren auf Kinderheime im ganzen Land verteilt und zur Adoption freigegeben worden. Das Vormundschaftsgericht hatte ihnen neue Nachnamen gegeben.
    Und ich dachte über ein Dutzend fünfundzwanzigjähriger Mansons nach. Stellte mir vor, diese Charismagabe werde ihnen allen zur gleichen Zeit verliehen. Zwölf glorreich strahlende, junge Mansons, die unaufhaltsam nach L.A. gezogen werden, von überall auf der Welt. Und eine Manson-Tochter, die verzweifelt versucht, ihr Zusammentreffen zu verhindern, die – wie es im Klappentext so schön heißt – »ihre entsetzliche Bestimmung erkannt hat«.
    Ich schrieb Menschensöhne wie unter Strom. Nach einem Monat war es fertig und ich schickte es meiner Agentin. Das Buch überraschte sie (»Nun, es ist so ganz anders als deine anderen«, führte sie mir vor Augen) und sie verkaufte es auf einer Versteigerung – meiner ersten – für mehr Geld, als ich für möglich gehalten hätte. (Meine anderen Bücher, drei Bände eleganter, vielschichtiger Gruselgeschichten voll angedeuteter Bezüge, hatten kaum den Computer bezahlt, auf dem sie geschrieben worden waren.)
    Und dann waren die Filmrechte noch vor der Veröffentlichung nach Hollywood verkauft worden – wieder per Versteigerung. Drei oder vier Filmgesellschaften hatten Interesse, aber nur eine wollte, dass ich das Drehbuch schreibe. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das wirklich klappen würde, aber dann fing mein Faxgerät an, Freudenbotschaften auszuspucken, immer spät nachts, die meisten unterschrieben von einem gewissen Dave Gambol. Eines Tages unterschrieb ich einen Vertrag in fünffacher Ausfertigung, jede so dick wie ein Ziegelstein. Ein paar Wochen später teilte meine Agentin mir mit, dass der erste Scheck eingelöst sei, und ich fand Flugtickets nach Hollywood zu »ersten Gesprächen« in meinem Briefkasten. Es war wie ein Traum.
    Die Tickets waren für die Business Class. In dem Moment, als ich das sah, wusste ich, der Traum war Wirklichkeit.
    Ich flog in der Kuppel im Obergeschoss eines Jumbo Jets nach Hollywood und knabberte Räucherlachs, die ersten Exemplare von Menschensöhne druckfrisch auf dem Schoß.

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    Also. Frühstück.
    Sie sagten mir, wie gut das Buch ihnen gefalle. Irgendwie bekam ich nicht so richtig mit, wie all die Leute hießen. Die Männer trugen Bärte oder Baseballkappen oder beides, die Frauen waren verblüffend attraktiv, auf eine sterile Art.
    Jacob orderte und bezahlte unser Frühstück. Er erklärte mir, die bevorstehende Besprechung sei eine reine Formalität.
    »Es ist Ihr Buch, das wir lieben«, sagte er. »Warum hätten wir es kaufen sollen, wenn wir es nicht machen wollten? Warum hätten wir Sie fürs Drehbuch engagieren sollen, wenn wir nicht Ihre besondere Art für das Projekt wollten? Ihren individuellen Touch.«
    Ich nickte, sehr ernst, als sei mein individueller literarischer Touch etwas, womit ich mich schon häufig und eingehend beschäftigt habe.
    »Eine solche Idee. Ein solches Buch. Sie sind ziemlich einzigartig.«
    »Einer der Einzigartigsten«, sagte eine Frau, die Dina oder Tina oder vielleicht auch Deanna hieß.
    Ich zog eine Braue in die Höhe. »Also was wird von mir erwartet bei dieser Besprechung?«
    »Seien Sie offen«, sagte Jacob. »Seien Sie positiv.«

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    Die Fahrt zum Studio dauerte ungefähr eine halbe Stunde in Jacobs kleinem roten Flitzer. Wir fuhren bis an ein Sicherheitstor, wo Jacob mit einem der Wachmänner eine Auseinandersetzung hatte. Offenbar arbeitete er erst seit kurzem für das Studio und hatte noch keinen unbefristeten Studiopass.
    Und noch keinen für ihn reservierten Parkplatz, fand ich heraus, als wir endlich passieren konnten. Diesen Mechanismus habe ich nie so ganz durchschaut: Nach dem, was er mir sagte, hatten Parkplätze im gleichen Maß mit persönlichem Status im Studio zu tun, wie Geschenke des Kaisers im alten China die Rangordnung bei Hofe bestimmten.
    Wir fuhren durch die Straßen eines eigentümlich zweidimensionalen New York und parkten vor einer großen

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