Die Messermacher (German Edition)
glaubte dem alten Herrn jedes Wort, achtete mehr auf Nora, die nebenbei das Frühstücksgeschirr abwusch (obwohl sie alles auch in den Geschirrspüler hätte tun können) und notierte sich nur halbherzig ein paar Daten fürs Vernehmungsprotokoll. Es klang ja auch alles ganz logisch und nachvollziehbar – warum sollte er sich da weitere Gedanken dazu machen? Dennoch nahm er sich vor, zur Beerdigung, die also für den Freitagnachmittag angesetzt war, zu kommen. Nicht nur aus dem Grund, Nora wiederzusehen, er wollte einfach mit diesem Ritual den Fall Angerer endgültig abschließen.
15
Beerdigungen fand Nora schon immer schrecklich, zum Glück war sie bisher nur auf einer gewesen, als der Vater eines ihrer Freunde bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen war. In der Kirche war damals schon kräftig auf die Tränendrüse gedrückt worden, als das grandiose Lied von Whitney Houston „I will always love you“ erklungen war. Wer sich bis dahin noch im Griff gehabt hatte, musste spätestens dann mitheulen und die Beileidsbezeugungen am Grab waren nicht nur für die Ehefrau, sondern auch für die vier Kinder der Horror gewesen. Warum musste man sich so was antun? Was hatte die Familie davon und hatte der Verstorbene gewollt, dass seine Familie an seinem Grab nochmal so viel leiden musste? War es nicht schlimm genug, mit dem Tod eines geliebten Menschen klarzukommen? Nora hatte ihre Familie darum angebettelt, ihre Großmutter doch in kleinem Rahmen zu beerdigen, doch vor allem Marianne hatte auf einer großen Beerdigung bestanden. Die Angerers waren eine sehr angesehene Familie, sowohl im Ort als auch bei Kunden und Lieferanten und Marianne war daher der Meinung, dass man den Leuten die Gelegenheit geben sollte, sich von Adele verabschieden zu können. Ihr Tod war ja nun doch etwas plötzlich gekommen. Schweren Herzens hatte der Rest Mariannes Drängen und Bitten nachgegeben und so machten sich dann alle nach dem Mittagessen, bei dem sowieso nur sehr wenig gegessen wurde, auf den Weg zur Kirche. Sie fuhren mit zwei Wagen, denn der Leichenschmaus sollte dann auf Burg Staufeneck stattfinden, auch darauf hatte Marianne bestanden. Das wären sie zumindest ihren Kunden und Lieferanten schuldig, hatte sie gemeint und auch in dieser Sache hatten sich die anderen nicht durchsetzen können. Eigentlich hätten sie es lieber hier im Ort in der Vereinsgaststätte im Buchs gemacht, doch die hatte an diesem Tage bereits einen Geburtstag auszurichten und die kleine Pizzeria am Ort hatte nicht genug Platz für so viele Leute.
Die Kirche platzte dann auch aus allen Nähten, die Letzten standen bereits außerhalb der Kirchentüren und hatten somit Mühe, die lange und berührende Rede des Pfarrers zu hören. Er ließ Adeles Leben Revue passieren nach den Vorgaben von Marianne, die ihm alles genau aufgeschrieben hatte. Adeles einzige Tochter hatte es verstanden, ihre Mutter fast schon als eine Heilige darzustellen und wer sie persönlich gekannt hatte, hätte meinen können, hier würde jemand ganz anderes zu Grabe getragen. Aber über Verstorbene sollte man natürlich auch nicht schlecht sprechen und so hörten alle andächtig zu und dachten sich ihren Teil. Vor allem Reno dachte bei sich: Wenn meine Frau so gewesen wäre, wie sie hier dargestellt wird, hätte ich wesentlich glücklicher sein können! Auch Nora hätte diese Frau lieben können, von der hier gesprochen wurde und Delfina, die am Mittwochnachmittag zurückgekommen und natürlich völlig geschockt war, dass ihre Schwiegermutter gestorben war, hätte mit dieser Adele hier sicher ein freundschaftlicheres Verhältnis haben können. Aber nun war sie tot und man musste sich nun um den armen Reno kümmern, denn der war immer noch völlig verstört. Nach der kirchlichen Zeremonie schlängelte sich eine lange dunkle Schlange bei schönstem Juniwetter durch den Ort hinüber zum Friedhof. Die Menschenmenge fand kaum Platz um das frisch ausgehobene Grab und wieder flossen die Tränen, als ein Panflötist sanfte Melodien spielte. Adele hatte diese Musik sehr geliebt und immer, wenn sie in größeren Städten unterwegs gewesen waren und die Indios in den Fußgängerzonen Panflöte spielten, hatte sie ein paar Münzen in deren Hut geworfen. Sonst war sie sehr geizig gewesen, aber diesen Musikern hatte sie immer etwas gegeben. Deshalb hatte Nora auch vorgeschlagen, einen Panflötenspieler zu engagieren. Nachdem die verschiedenen Reden von einem guten Kunden, vom größten
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