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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
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einem Funkenregen.
    Der Mond hatte sich versteckt. Die Blitze schufen ein heilloses Durcheinander. Der Baum erbebte bis in seine Wurzeln, und Erna gab sich verloren: Jeden Moment würden sie wegfliegen. Sie drückte das Kind noch fester an ihre Brust.
    Der Schatten eines Reiters ragte neben ihr auf; plötzlich bewegte er sich langsam auf sie zu. Inmitten all der Raserei hatte seine Ruhe etwas Erschreckendes. Kurz, sehr kurz, war sie in dem Glauben, es sei ein Soldat… Das Schnauben des Pferdes befreite sie aus ihrem Irrtum. Es musste sich um einen Indianer handeln, einen Nachzügler, der durch die Straßen ritt, weil er das Dorf keinesfalls ohne eine Gefangene verlassen wollte. Da fiel ein Mondstrahl auf ihn: glänzend vor Fett, der Kopf geschoren, rote Lackstreifen auf der Brust.
    Der Mond war nun hervorgetreten und zeigte Erna den Blick des Wilden, der plötzlich auf sie zuritt und sich zu ihr herunterbeugte, ohne abzusitzen; er packte sie unter den Armen und hievte sie auf den Nacken des Fohlens. Kurz darauf flog der Baum weg.
    Sie ritten los. Ernas Blickwinkel änderte sich. Sie preschten zwischen den lodernden Hütten hindurch; die Feuer waren von einem bläulichen, sehr kalten Violett. Der Wind trug brennende, sich wunderschön vom Schwarz des Himmels abhebende Möbel über ihre Köpfe hinweg. Der Wilde trieb das Tier, der Windrichtung folgend, einen Abhang hinauf. Oben verharrte er einen Moment; von dort aus konnte man die Festung sehen: Die Tore standen offen, Soldaten sprengten heraus und ritten blindlings in Richtung Dorf, mit erhobenen Säbeln, wie Spielfiguren aus Pappmache. Dann wendete der Indianer das Pferd und galoppierte los, bis sie den Hauptteil der Indianerhorde erreicht hatten, wo es vor Frauen nur so wimmelte. Sie durchwateten den Bach und tauchten ein in die Nacht, Richtung Wald.
    Auf seinen jährlichen Frühjahrsausflug zur Insel Carhué nahm der Prinz immer ein riesiges Gefolge mit, fast dreimal so groß wie üblich auf solchen Reisen, auf denen es sowieso schon von Musikern, Helfern, Masseuren, Jägern, Leibwächtern und Kindern wimmelte, einer Unzahl von Kindern, dazu noch jede Menge Schmarotzer, deren einzige Funktion bei Hof darin bestand, zu schlafen und den prächtigen Kopfputz zur Schau zu tragen, den sie je nach Uhrzeit und Umstand neu kreierten. Der Meinung seines Vaters zum Trotz beharrte er darauf, sogar die weißen Frauen mitzunehmen, die man ihm in den letzten Wochen geschenkt hatte, darunter einige, mit denen eine Nacht zu verbringen er bislang noch keine Gelegenheit gefunden hatte; der Einwand des alten Kaziken, den der Sohn mit einem abschätzigen Lächeln hinwegfegte, berief sich, wenn auch mit wenig Nachdruck, auf die althergebrachte Haltung gegenüber der Insel, einem heiligen Refugium, das durch die zwiespältige Gegenwart des Weißen an sich nicht befleckt werden durfte. Nun war es sehr verständlich, dass Hual diesem Rat wenig Beachtung schenkte, hatte doch die Insel schon seit Jahrzehnten ihren göttlichen Charakter verloren und sich längst in den weltlichsten Winkel der Wüste verwandelt, in den Sommertreff der reichsten Kaziken, die nicht auf der Suche nach irgendeinem magischen Schutz hierher kamen, sondern allein von Luxus, geselligem Müßiggang und anderen, weniger uneigennützigen Vergnügungen angelockt wurden. Hual selbst jedoch gab unwissentlich insofern Überreste der archaischen und rituellen Neigung zum Nomadentum zu erkennen, als er sich nicht dazu durchringen konnte, der Bequemlichkeit der Reise die Last des Alltags zu opfern. Er wollte sich unversehrt an Leib und Leben dorthin begeben. Als offenbar wurde, welche Unmenge von Menschen ihn bei diesem Urlaub begleiten sollte, sagte man ihm wenig Erholung voraus, wobei die Kritik letztlich über ein Schulterzucken nicht hinausging: Schließlich war es das Vorrecht eines millionenschweren Kaziken, sich auf Reisen mit seinem Hofstaat zu umgeben, wenn er es so wünschte, oder für einige wenige Wochen auch noch den letzten seiner Windhunde und Papageien Hunderte von Meilen weit zu transportieren, nur damit er keine Sehnsucht nach ihnen verspürte.
    Eine Schar junger Männer brach einige Tage früher auf, um die tragbaren Behausungen auf die Insel zu bringen und dort aufzubauen. Hual überhäufte sie mit Ratschlägen und einer Unzahl von Skizzen und Schaubildern, die genau anzeigten, wie er alles haben wollte, nicht nur die Größe und Form der Zelte, sondern auch ihre Ausrichtung, den Abstand vom Ufer und

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