Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
Vom Netzwerk:
tausend weitere Einzelheiten.
    «Lieber Hual», sagte einer aus seinem Vorauskommando, ohne die Ironie zu verhehlen, «wenn wir diesen ganzen Wust ernst nähmen, bräuchten wir Monate, um die Dächer zu spannen, unter denen du heute in einer Woche schlafen willst.»
    «Macht nichts. Wir haben Zeit.»
    Sie würden sich lieber vom Augenblick inspirieren lassen, so wie immer. Aber Hual lehnte sich gegen den Zufall auf; als er sie verabschiedete, kam ihm der Gedanke, sie könnten vielleicht den Weg zur Insel nicht finden, und daher ließ er etwas aus seinem Zelt holen.
    «Nehmt diese Karte mit», sagte er.
    Es war ein Blatt aus grobem Papier, doppelt gefaltet und auf beiden Seiten mit Inschriften bedeckt. Mit einem Seufzer steckten sie es zu dem ganzen Rest.
    «Wir wissen diese Geste zu schätzen», sagten sie.
    Hual blieb besorgt zurück und erzählte jedem, der es hören wollte, dass sie sich bestimmt verirren würden und er bei seiner Ankunft kein Dach über dem Kopf hätte. Fast hätte er seine eigenen Hirngespinste ernst genommen, und einen Moment lang schien er sogar entschlossen, die Reise abzublasen. Aber da zerstreute jemand energisch seine Bedenken, so dass sie eines frühen Morgens aufbrachen, mit all den Frauen und einer abgespeckten Leibwache auf grauen Ponys und mit dem auf weiteren Pferden verteilten Gepäck. Die Strecke, die sie zurücklegen mussten, betrug kaum dreißig Meilen, aber sie hatten so viele Kinder dabei und legten so häufig eine Rast ein, um zu trinken oder Siesta zu halten oder in allen Bächen zu baden, auf die sie unterwegs stießen, dass sie ganze fünf Tage brauchten, um anzukommen. Hual war die Nachsichtigkeit in Person. Ein groß gewachsener Mann, der trotz des vollkommen verweichlichten Lebens, das er führte, einen wohlgestalteten und athletischen Körper besaß. Sein ganzer Stolz war die mächtige, schwarze Mähne, die immer geölt und gekämmt war, bleischwer herabhing und seinen halben Rücken bedeckte. Die grobschlächtigen Gesichtszüge wurden erlöst vom Glanz der wunderbaren Intelligenz seiner Augen. Seine Großzügigkeit war sprichwörtlich. Er hatte den seltsamen Spleen, alles gutzuheißen, was man ihm vorschlug. Der Legende nach war er in jungen Jahren Sadist gewesen. Er sah wie vierzig aus, obwohl er wahrscheinlich zehn Jahre jünger war.
    Am fünften Tag der Reise gelangten sie zu fast nachtschlafender Zeit an das südliche Ufer der Lagune. Zwei Kundschafter hatten sie zuerst erblickt und waren den Pfad zurückgaloppiert, um dem Prinzen die gute Nachricht zu überbringen und zu verhindern, dass er eine unnötige Rast einlegte. Plötzlich hörte der Wald auf, und ein Chor von Rufen erklang. Im gräulichen Licht des sich neigenden Tages sahen sie den riesigen, nackten Strand, der mit Vögeln übersät war. Wasser, so weit das Auge reichte. Sie hatten erwartet, dass sie die Insel sofort erblicken würden, aber in der Ferne waren lediglich düstere Nebel zu sehen, aus denen ab und zu, klein wie ein Punkt, ein Vogel aufflog.
    Fasziniert von diesem reglosen Schauspiel, ritten sie auf das Ufer zu. Nach kurzer Beratung mit seinen Statthaltern beschloss Hual, die Überfahrt auf den nächsten Morgen zu verschieben. Sie holten Leuchtraketen aus den Satteltaschen, um sich mit den Konstrukteuren zu verständigen. Sie schossen sie in die Luft, ohne abzuwarten, bis es wirklich dunkel war. In der Ferne, von der nebelverhangenen Insel, kamen kurz darauf die Antworten geflogen, fünf weiße Leuchtraketen und eine grüne, die in Spiralen zum Himmel hinauf zappelte und dann ins Wasser fiel.
    Hual ließ sich ein Zeltdach aufspannen, um mitten auf dem Strand zu übernachten, und verlangte nach Getränken und Zigaretten. Die Dämmerung setzte ein, mit einem glänzenden, straffen Grau. Die Luft schien elektrisch geladen. Die ganze Gesellschaft setzte sich auf den zu Gänsehaut erstarrten Sand, alle ganz still, sogar die Kinder.
    Die Krieger waren erschöpft, warum, wussten sie auch nicht. Übermannt von Schläfrigkeit, rauchten sie. Manche tranken, bis sie einschliefen. Eigentlich hätten sie noch auf die Jagd gehen sollen, aber dazu waren sie nicht mehr in der Lage, und Hunger hatte auch keiner.
    Die Pferde streiften befremdet umher. Sie taten erst ein paar Schritte und blieben dann stehen, um, irritiert vom Sand, den Boden zu mustern. Sie trabten zum Wasser, tauchten die Hufe in die weißliche Welle, doch als sie das Wasser zu trinken versuchten, stellten sie fest, dass es salzig war, und

Weitere Kostenlose Bücher