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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
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Aber… Das Sexuelle ist unsichtbar. Es lässt sich nicht sehen.»
    Er schloss mit einer vagen Geste und hüllte sich in Rauchwolken ein. Aber da kochte bereits das Wasser, so dass er langsam den Kaffee abfilterte, dessen Duft ihn zum Lachen brachte: Er hatte sich an etwas erinnert.
    «Meine Großmutter sagte immer: ‹Es gibt keinen becircenderen Duft als den von Kaffee.›»
    Sie gossen den Kaffee in Trinkschalen und nippten schweigend daran. Dann schenkten sie sich wieder Cognac ein. Die Zigaretten waren aufgeraucht, und Erna drehte zwei neue. Wie fern ihnen der Sturm vorkam! Und doch so nah! Sie mussten nur die Hand ausstrecken, und schon konnten sie ihn berühren… aber das ließen sie lieber sein.
    «In was sich der Sturm im Wald wohl verwandelt?»
    So redeten sie immer, wenn sie über den Wald sprachen: Er verwandelte alles.
    «In nichts», sagte Gombo, «da drinnen existiert er nicht, da kommt er gar nicht rein. Selbst bis hierher reicht der Schutz des Waldes; im Flachland würde das Haus nicht standhalten. Augenblick», sagte er, als er sah, dass die Zigaretten bereits gedreht waren.
    Er hob die Lampe hoch und nahm den Schirm ab, einen von der Hitze hart gewordenen Zylinder aus Papier, der auf dem Tisch liegen geblieben war. Sie rauchten eine Weile.
    «An einem anderen Ort würden wir ausgelöscht werden. Hier aber ist der Tod unmöglich.» Er ließ eine Rauchsäule aufsteigen. «Vollkommen unmöglich. Ein absoluter Schutz.» Und dann fügte er hinzu: «Das Leben ist unmöglich und der Tod ebenso. Gibt es überhaupt etwas, das nicht unmöglich ist?»
    «Kinder zu haben ist möglich», sagte Erna.
    «Stimmt. Jetzt, wo ich darüber nachdenke… Das Unmögliche des Lebens zeigt sich bei Männern und Frauen auf andere, vielleicht sogar gegensätzliche Weise. Vielleicht gibt es gar keinen anderen Unterschied zwischen Mann und Frau. Aber das Leben bleibt unmöglich, für dich genauso wie für mich oder für ihn», sagte er und deutete auf Franciscos Wiege, «das ist das Einzige, was bleibt. Ein Individuum kann unmöglich in einer Spezies leben – oder außerhalb. Daran ist nichts Geheimnisvolles. Ganz im Gegenteil.»
    Er machte eine Pause (zwischen einem Satz und dem nächsten machte er lange Pausen), und seine philosophische Stimmung schien umzuschlagen. Er zeigte mit der Zigarette auf Erna und sagte wie ein Meister zu seinem Schüler:
    «Denn wäre es nicht unmöglich, wäre das Leben grauenvoll. Am besten hältst du dir das immer vor Augen. Vielleicht werden sich die Dinge in der Zukunft ändern. Vielleicht wird das Leben in hundert Jahren möglich sein… Doch leider werde ich das nicht mehr erleben.»
    Langes Schweigen.
    «Und dennoch… Unser Leben sitzt hier bei uns, wie eine lappländische Kutscherin mitten in einem Schneesturm… Das Leben zieht immer vorbei wie eine Wolke, ohne etwas zu berühren, ohne eine Spur zu hinterlassen. So wie der Sturm: Er hinterlässt keine Spur, weil er sich wiederholt.»
    Als er erneut das Wort ergriff, sprach er noch leiser, noch düsterer, als hätte er mit dem Denken einen langen Geheimweg zurückgelegt und tauchte jetzt weit entfernt wieder auf.
    «Im Grunde», sagte er und betrachtete die fast heruntergebrannte Zigarette zwischen seinen Fingern, «wissen wir nicht, welche Wirkung das hier auf unseren Organismus hat. Oder das Trinken. Meiner Ansicht nach werden wir es niemals wissen, da kann die Wissenschaft noch so große Fortschritte erzielen. Das wäre ja so, als gäbe man vor zu wissen, was die Zeit dem Menschen bescheren wird… die winzige Zeitspanne, die zwischen einem Herzschlag und dem nächsten vergeht. Die Chemie erschafft die Zeit. Nein, nein… Die Fressgier. Wenn ein Mensch einen Pilz isst, dann hat er entweder erhabene Visionen, oder er stirbt an einer Vergiftung. Man weiß es nicht. Wegen dieser Kleinigkeit sind wir dazu verdammt, nichts auf dieser Welt zu wissen.»
    Erna warf die Kippe ins Feuer, und Gombo tat es ihr automatisch nach.
    «Soll ich noch eine drehen?»
    Er zögerte kurz.
    «Eine noch, dann gehen wir schlafen.»
    Er betrachtete ihre Hände, während sie ein Blatt rollte, das rötlich zu sein schien. Es war kein Donnern mehr zu hören, aber der Schnee pfiff jetzt lauter und schärfer. Im Dorf schliefen wahrscheinlich alle schon. Er schenkte sich ein letztes Glas Cognac ein (die Flasche war fast leer), lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und rauchte, während Erna die Matten auf den Boden legte… Alles schien langsamer geworden zu sein,

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