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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
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leiser. Sie schnippte die Zigarettenasche auf den Teller mit den Knochen…
    In diesem Augenblick riss eine der Hüttenwände von oben bis unten auf wie feuchtes Papier. Ein Windstoß blies das einzige Licht aus und verwandelte die heimelige, nach Zigaretten duftende Atmosphäre in ein Chaos aus eisigen Gerüchen. Ein Feuerglanz brünierte das nächtliche Weiß des Schnees. In der Öffnung erschien der bedrohliche Schatten eines Indianers. Durch die Bewegung, die er ausführte, um hereinzukommen, bewegte er auch die Fackel, die er in der Hand hielt, so dass Licht auf ihn fiel: Er war von Kopf bis Fuß mit einer grauenerregenden Kriegsbemalung bedeckt, das Gesicht unter der Teufelsmaske wirkte durchsichtig; er war kahl geschoren und nackt. In dieser Schrecksekunde begriff das Ehepaar, dass das Dorf Opfer eines unerwarteten, durch den Sturm getarnten Angriffs geworden war.
    Der Wilde schaffte es nicht herein; Gombo war in Richtung Stuhl gesprungen, an dem der Säbel hing, und hatte ihm mit einem einzigen, kraftvoll ausgeführten Hieb den Kopf abgeschlagen. Der Blutschwall, den der Wind zerstäubte, tränkte sie. Erna hob das in Decken gehüllte Kind aus der Wiege.
    «Zum Fort!», schrie Gombo, das Sturmgeheul mit seiner Stimme übertönend, während die ganze Hütte zusammenklappte und ins Nichts zurückkehrte.
    Obwohl sie die Augen kaum aufbekamen, sahen sie weitere Indianer heranstürmen. Sie flüchteten den Anemonenpfad entlang. Der Orkan hatte den Gipfel seiner Wucht erreicht; der Schnee kam von überall her, nicht nur von oben, denn ab und zu lösten sich große weiße Blöcke vom Boden und barsten zwischen ihren Beinen. Wolken zogen schnell wie Adler unter dem Mond vorbei, und immer, wenn eine besonders große den Mond vollständig verdeckte, erhellten allein die in Brand gesteckten Hütten die Landschaft. Erna rannte gebückt, um das Kind zu schützen, Gombo mit erhobenem Säbel.
    Die am nächsten gelegene Hütte brannte lichterloh, und kaum waren sie daran vorbei, kreuzten mehrere Reiter, die direkt aus den Flammen zu sprengen schienen, ihren Weg; die Schreie, die sie hörten, spitze, abgerissene Wimmerlaute, stammten nicht von den Indianern, sondern von ihren Pferden, die sich auf die Zunge bissen, bis sie in Fetzen hing, und Blut und Schaum spuckten. Erna sah gerade noch, dass alle ohnmächtige Frauen mitschleppten, als eines der Tiere sie überrannte: Ein Alptraum von einem Kopf, mit hervorquellenden Augen, gesträubtem Fell und vortretenden Venen so dick wie ein Arm streifte sie im Dunkeln, und schon stürzte sie und rollte in den Schnee. Ein Schwindel packte sie, das Gefühl, in einer wütenden Bewegung gefangen zu sein, die nichts mit ihr zu tun hatte. Als sie sich schließlich hinknien konnte, wurde sie von Schneewirbeln eingehüllt. Das Kind hielt sie noch in den Armen, aber die Decken waren weggeflogen. Sie war allein.
    In ihrem Zustand fiel es ihr schwer, sich aufzurichten; eine Weile blieb sie auf den Knien sitzen und hätte beinahe das Bewusstsein verloren. Sie war weit vom Weg abgeraten und sah nur noch Schneegestöber. Sie glaubte, auf der Stelle zu verharren, tatsächlich aber schleifte der Wind sie mit, was sie jedoch erst bemerkte, als sie langsam gegen einen Baum prallte, einen Maulbeerbaum, dessen unförmiger Stamm ihr vorübergehend Schutz bot; das Pfeifen der Äste ließ sie erstarren. Im Licht der Blitze beugte sie sich zu Francisco hinunter, um nach ihm zu sehen; er weinte, doch sie konnte es nicht hören.
    Plötzlich riss ein Windstoß, der noch stärker war als die vorigen, Schnee und Luft auseinander, und eine Sekunde lang erblickte sie in der Ferne die Festung, still und dunkel, in Mondlicht getaucht, wie ein auf irgendeinem toten Planeten errichtetes phantastisches Bauwerk.
    Sie sah mehrere Indianer, die mit ohnmächtigen, im fahlen Licht glänzenden Frauen vorüberritten; über die Gefangenen gebeugt, sahen die Wilden eher aus wie mit Streifen und Kreisen tätowierte Puppen der Dunkelheit. Da niemand sie bemerkte, schöpfte Erna etwas Hoffnung; vielleicht war der Angriff vorüber, und die Indianer machten sich aus dem Staub.
    Die Schleier, die alles unsichtbar machten, lösten sich auf und bildeten sich woanders wieder neu; plötzlich verflüchtigten sie sich direkt vor Erna, und sie konnte in etwa hundert Meter Entfernung ein Häuschen sehen. Flammen züngelten aus den kleinen Fenstern und hatten das Material der Mauern fast durchsichtig gemacht; schließlich zerstob das Dach zu

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