Die Mestizin
sich am Strand die Beine vertreten werde. Begleitet wurde er von einigen Frauen und einer Schar von Kindern, die spritzend am Saum des Wassers entlangrannten und Steine in die Lagune warfen. Hual sah, dass sie glücklich waren, und fühlte sich als Schutzherr der Kindheit.
Ein Kind fand eine ulkig geformte Schnecke und brachte sie dem Prinzen, der sie eingehend betrachtete.
«Die ist ja ulkig. Gibst du sie mir? Danke. Ich werde sie als Glas benutzen.»
Verblüfft riss das Kind die Augen auf.
«Aber die hat doch gar keinen Boden!»
Es handelte sich um eine Art unregelmäßig gewundenen Zylinder.
«Stimmt», sagte Hual, «das hatte ich gar nicht gemerkt. In dem Fall könnte man vielleicht eine Pfeife daraus machen.»
Die Kinder umringten ihn und hingen an seinen Lippen. Sie brachten alles, was sie fanden, zu ihm und baten ihn um Erklärungen. Schließlich gelangten sie zu einer Anhöhe, die den Strand in zwei Hälften teilte. Hual wollte nicht weitergehen. Die Kinder kletterten hinauf und stürzten sich mit lautem Geschrei ins Wasser. Gemächlich schlenderten sie zurück. Der Tag war seltsam, ohne Grund wurde es dunkel, als veränderten die Wolken, ohne sich zu bewegen, ihre Konsistenz. Vögel gab es keine. Die Geräusche, die von jenseits des Wassers herüberdrangen, waren gespenstisch.
Das Gefolge schwärmte wieder aus, aber diesmal nicht sehr weit. Sie streiften durch das Laub oder gingen unten am Strand spazieren. Der Prinz verlangte nach Musik.
«Ich brauche sie», sagte er, «um das Gefühl für die Asymmetrie meines Lebens wiederzufinden.»
Wie sehr es ihn ermüdete, auch nur ein paar Schritte zu tun! Ab morgen würde er anfangen, Sport zu treiben, das stand fest. Aber welchen? Reiten fand er plump, die Jagd mit dem Bogen langweilte ihn. Vielleicht Schwimmen? In seiner Jugend war er ein großer Schwimmer gewesen.
Er setzte sich ins Gras und blickte auf die Lagune. Die Wasseroberfläche schien von einem Geheimnis gespannt, von etwas Verborgenem, das ihm eine wohlige Angst bereitete.
«So ist es», dachte er, «unter Wasser verbergen sich viele Dinge, erhabene Formen der Schönheit, die ich mir nicht einmal vorzustellen vermag. Und das Schlimmste ist, dass sie jetzt, in diesem Moment, entstehen und vergehen. Alles ist unwiederbringlich. Aber die Schönheit löst sich auf, bevor man sie sieht.»
Da kam ihm der Gedanke, dass unter Wasser womöglich gar nichts war.
«In dem Fall ist das Wasser selbst der Inbegriff von Eleganz. Es ist eine gesunkene Galeone.»
Er wandte seinen Blick wieder den Frauen und Kriegern zu, die sich in der Nähe aufhielten. Die meisten schliefen, andere rauchten oder tranken oder lagen, auf die Ellbogen gestützt, da und schauten den Wolken zu; oder sie würfelten oder plauderten mit halblauter Stimme.
Seine Aufmerksamkeit wurde von einer weißen Frau gefangen, der jüngsten seiner Halbgattinnen. Sie war erst seit wenigen Wochen bei ihm. Sie stillte gerade ein zwei oder drei Monate altes nacktes Mädchen. Vom Typ her war sie nicht europäisch. Und doch war sie anders als die Indianerinnen, zwischen denen sie saß. Er erinnerte sich nicht mehr daran, wer ihm gesagt hatte, sie sei weiß. Bruchstücke ihres Lebens waren an sein königliches Ohr gedrungen.
Dodi, ein mächtiger Kazike des Südens, hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt und den Leuten abgekauft, die sie in einem unbekannten Fort gefangen gehalten hatten. Weil er ihre Schwermut vertreiben wollte, hatte er Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um den Sohn zu finden, den man ihr entrissen hatte. Dennoch ging die Ehe praktisch sofort in die Brüche. Wahrscheinlich erlosch Dodis Liebe, als sie nicht mehr traurig war. Ob sie sich wohl im Guten voneinander getrennt hatten? Jedenfalls war sie kürzlich an seinem Hof aufgetaucht, ohne dass man ihr Fragen gestellt hätte. Hual fand sie wunderschön: zerbrechlich, klein, die Hände zierlich.
Sie war ganz in das Stillen versunken, ihre Tochter ebenso. Neben ihr gab, ebenso konzentriert, eine Frau einem neugeborenen Mädchen die Brust… Hual war völlig verwirrt. Die beiden Mütter ähnelten sich so sehr, dass er nicht wusste, ob er sie vielleicht verwechselt hatte.
Das Licht ging zur Neige. Die Tage waren noch nicht sehr lang, aber die Wilden taten so, als wären sie es. Wer gerade aus seinem Mittagsschläfchen erwacht war, ging ins Wasser. Sie bahnten sich den Weg durch die weiße, reglose Welle. Da setzte Nieselregen ein. Der Prinz suchte Unterschlupf unter einem
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