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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
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den ganzen Morgen geschienen. Jetzt war sie hinter einer hellgrauen Wolkenschicht verborgen, die alles in Weiß tauchte. Die zweckmäßigste Beleuchtung für die Jagd.
    Die Bögen der Männer sahen aus wie Spielzeuge, so klein waren sie. In gespanntem Zustand genügte das leiseste Säuseln der Blätter, und schon ging ein Ruck durch alle Muskeln, und das bleistiftgroße Pfeilchen schnellte los. Sie zielten nicht. Es war schwierig danebenzuschießen. Der Pfeil aus gespitztem Bambusrohr war so leicht, dass er in der Luft flatterte. Nach einer Weile hatten sie einen hübschen Vorrat an verschiedenen Vögeln zusammen. Von vielen kannten sie nicht einmal den Namen, aber in dieser Gegend waren nur die Vögel mit weißem Gefieder giftig oder unverdaulich. Die indianischen Arzte wussten aus den Köpfchen eines Vogels Tropfen auszupressen, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit dazu verwandt wurden, eine Thronfolge zu beschleunigen oder eine Streitigkeit beizulegen. Zufällige Vergiftungen kamen äußerst selten vor, denn wer Vögel aß, die er nicht kannte, verhielt sich äußerst fahrlässig. Höchstens also bei einem zu üppigen und amüsanten Frühstück.
    Sie steckten die Beute in Säcke aus elastischem Stoff, die sie auf dem Rücken trugen. Wenn keine Vögel mehr hineinpassten, schleppten sie sich, erdrückt von riesigen Ballons aus schattierter Federmasse, zum Zeltlager, von dem sie sich nicht allzu weit entfernt hatten.
    Die Kinder drangen in Waldstücke ein, um nach Nestern zu suchen. Wendig wie Affen kletterten sie die Bäume hinauf, indem sie sich mit Händen und Füßen an den Stamm klammerten und doch den Körper auf Abstand hielten. Was den Eindruck von Schwerelosigkeit hervorrief. Und sie waren leise, bis auf das Lachen. Manchmal flog ein Vogel herbei, um verträumt über der Beute zu singen. Ein Kind hielt erschrocken inne. Wegen der Augenfarbe konnten die Vögel den Blick nicht erwidern. Und die Kinder hatten gelernt, niemals in ein Auge zu sehen, das dem Blick auswich… Manche Nester verströmten einen merkwürdigen Geruch, den sie kraftvoll einsogen, eine intime und geheime Ausdünstung, die in den Träumen wiederkehrte.
    Sie brachten reichlich Beute mit: Junghasen, kleine Frösche mit dicken Schenkeln. Die Frauen sammelten wilde Früchte und Knollen. Die Schwimmer holten Nardenwurzeln aus dem Wasser und die süße Zwiebel, aus der die Binse wächst. Minzblätter, kleine, säuerliche Kürbisse. Nichts war ihnen exotisch genug.
    Als Hual erwachte, neigte sich der Tag bereits dem Ende zu. Nach seinen narkotisierten Nickerchen fiel es ihm unendlich schwer, ins Leben zurückzukehren. Er war nicht bemalt, die Bänder hingen schlaff herab. Bevor er das Zelt verließ, setzte er sich eine Schildmütze aus Blättern auf. Er konnte kaum die Augenlider öffnen. Das Licht, das er so sehr brauchte, um die Angst zu verscheuchen, tat ihm weh.
    Er ging in Richtung Wasser und lenkte sich ab, indem er die feuchte Luft einatmete, die sich allmählich mit dem Duft nach gebratenem Fleisch und Gewürzen sättigte. Es war das beste Mittel, um ihn endgültig aufzuwecken. Seine Höflinge hatten Hunger. Sie tranken Aperitifs und aßen wilde Oliven, bis die Tauben endlich goldbraun gebraten waren. Diese späten Frühstücke reizten fürchterlich den Magen.
    Auf Geheiß des Prinzen begann dessen Lieblingsmusiker eine verstimmte, dreisaitige Harfe zu spielen, begleitet von einem dreijährigen Mädchen mit Schellen. Manchmal zupfte er die Saiten mit den Fingern, dann wieder rieb er mit Stäbchen an ihnen oder schlug sie an; das Tocktock ließ Hual erschaudern und machte ihn schläfrig. Er war derjenige, der am wenigsten aß: ein Bissen von der Taubenbrust, ein paar Basilikumblätter. Dagegen kippte er ein Glas Schnaps nach dem anderen hinunter. Zu einer seiner Ehefrauen, die ihm deswegen Vorhaltungen machte, sagte er, er werde später mehr essen.
    «Es wird dir vielleicht unglaublich vorkommen», fügte er hinzu, «aber ich bin immer noch müde, und das verdirbt mir den Appetit.»
    «Mir kommt schon lange nichts mehr unglaublich vor», sagte sie.
    Es wurden Früchte aufgetragen. Gähnend nahm er einen Schluck Saft. Er wolle jetzt nicht schlafen, sagte er, sonst würde er die ganze Nacht wachliegen.
    «Dann lass uns einen Spaziergang machen», sagte eine Ehefrau. «Du musst dir unbedingt die Landschaft anschauen.»
    «Da hast du Recht.»
    Er nahm die Schildmütze ab, weil das Weiß schwächer geworden war. Dann verkündete er, dass er

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