Die Mestizin
Zeltdach aus gewachstem Papier und ließ sich Getränke und Zigarren bringen. Er dachte an nichts. Er betrachtete die Badenden, von denen einige sehr weit weg vom Ufer schwammen. Er verspürte eine unbestimmte Sehnsucht. Ein geheimnisvolles Verlangen.
Plötzlich hörte er Schreie und sah, wie alle auf eine Stelle zuschwammen, an der das Wasser aufgewühlt war. Allem Anschein nach waren sie auf einen Fisch gestoßen und versuchten ihn zu fangen. Hual dachte an eine Riesenschildkröte. Die Stelle war etwa hundert Meter vom Ufer entfernt, aber nicht tief; das Wasser reichte ihnen bis zur Brust. Wie dem auch sei, jedenfalls musste die Beute sehr groß und wendig sein. Alle schrien und hüpften, dass es spritzte.
Schließlich zogen sie das Tier an die Oberfläche, und er konnte es sehen: ein Fisch so groß wie ein Mensch, ein riesiger Zylinder ohne Flossen, etwa zwei Meter lang, weiß oder leicht rötlich. Als sie ihre Arme um ihn legten, sahen sie aus wie kupferfarbene Körper, die sich an eine schneeweiße Frau klammerten. Unter großen Mühen begannen sie ihn ans Ufer zu schaffen. Bei jedem Zappeln zog er sie unter Wasser oder drohte ihnen zu entgleiten. Dennoch konnten sie ihn herausschleppen und, weitab vom Wasser, auf den Sand werfen.
Trotz des Nieselregens trat Hual mit dem Glas in der Hand aus dem Zelt und ging zu ihnen. Der Fisch starb mit offenen Augen. Die Haut war von einem unvergleichlichen Glanz, von einer unbeschreiblichen Zartheit. Die Kinder beugten sich vor, um ihn zu berühren. Allen tat der Tod eines so wunderschönen Wesens Leid. Hual gab sich philosophisch:
«Das Leben», sagte er, «ist ein primitives Phänomen, dazu bestimmt, vollkommen zu verschwinden. Doch die Auslöschung ist und wird nicht plötzlich vonstatten gehen. Wäre dem so, wären wir nicht hier. Das Schicksal ist die ästhetische Kraft des Unvollständigen und Offenen. Später zieht sie sich in den Himmel zurück. Das Schicksal ist ein großer Ruheständler. Es hat nichts zu tun mit der scheuen Wahrnehmung des menschlichen Körpers, die weniger visuell als vielmehr kinästhetisch ist, jedenfalls eher imaginär als real. Das Schicksal beschränkt sich auf die Blüte, aber die Blüte hat kein Gewicht, wir lieben die Melone. Die Blüte der Melone ist eine bisterfarbene Orchidee. Die Melonenpflanzen selbst verteilen sich so ungeordnet auf dem Boden, wie es das Leben nie vermöchte. Uns interessiert nur das Feste, das Elastische, das, was Raum einnimmt – und nicht die Gespräche!»
Eine Pause.
«Und dieses Tier, ist es nicht eine Erscheinung? Es erinnert mich an die Nichtigkeit des Lebens, die überwältigend ist, überladen mit Elementen und folglich der Lächerlichkeit preisgegeben. Das Denken hingegen ist nicht überladen. Alles ist eine Frage der Dauer, der Momente des Wartens, und das Theater des Lebens ist lediglich ein Teil des Moments.»
Seine Männer lauschten ihm gespannt mit ehrfürchtigem Schweigen.
«Und dieser Moment, das Kind der Melancholie, was ist das anderes als ein Abbild des Menschen? Alles ist seltsam, alles ist unmöglich. Zum Beispiel, dass wir hier versammelt sind und einen Fisch betrachten. Unsere geistigen Fähigkeiten sind über die ganze Welt verstreut, streunen umher auf ihrer Suche nach Schönheit; der Fisch hingegen weiß nichts mehr von der Evolution.»
In diesem Moment, als hätte er sich vorgenommen, ihn Lügen zu strafen, zuckte der Fisch und spie einen Schwall perlmuttfarbenes Wasser aus, wonach er reglos liegen blieb. Hual fuhr fort:
«Ein Ereignis ist stets ein umgekehrtes Gemälde dessen, was nicht geschieht. Daher darf man bei der Existenz nicht von einer homogenen Kategorie sprechen. Ich würde sagen, dass alle Dinge zwei – und nur zwei – Klassen angehören: den Szenen und den Menschen. Zum Glück müssen wir nicht wählen. Wie sollten wir auch? Manchmal neige ich den Szenen zu, zum Beispiel nach einem üppigen Mittagessen. Wenn ich hingegen die Schönheit eines Moments betrachte, spüre ich den schrecklichen Augenblick der Menschen kommen.»
Sein Glas hatte sich mit Regentropfen gefüllt. Während er redete, hatte man einen Schirm über ihm aufgespannt. Der Fisch in seiner weißrötlichen Pracht war tot. Die Traurigkeit des Prinzen war deutlich zu spüren. Sein Stammeln klang deprimiert. Als er das Glas an die Lippen führte, fand er den Alkohol verwässert und schüttete ihn weg. Er war bereits auf dem Weg zurück ins Zelt, als er eine Eingebung hatte: Er würde den Fisch jetzt
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