Die Mestizin
gleich Islai als Geschenk bringen, und sie würden ihn zum Abendessen verspeisen.
Die Gelegenheit konnte günstiger nicht sein, wenngleich sie gegen das Protokoll verstieß. Aber hier war das nicht so wichtig. Islai war ein Halbbruder von ihm, ein Kazike und Anführer einiger Stämme im Westen. Bei seiner Ankunft hatte Hual von dessen Anwesenheit erfahren und bedauert, dass die Etikette vorgezogene Besuche verbot, denn Islai war das einzige Familienmitglied, das er mochte. Und nun lieferte ihm dieses wunderbare, so überraschend aufgetauchte Geschenk einen guten Vorwand, um mit den Gewohnheiten zu brechen und ihn zu überraschen.
Es war ihm gesagt worden, dass Islai sein Lager ganz in der Nähe aufgeschlagen hatte, auf derselben Seite der Insel. Bald würde es dunkel werden. Er gab Befehl, sofort aufzubrechen, sobald der Fisch auf einen Karren verladen war, vor den sie an Ort und Stelle zwei kleine Zugpferde spannten. Obwohl es regnete und bereits dämmerte, gingen alle mit, begleitet vom Geschrei der aufgeschreckten Vögel. Sie wurden tropfnass, denn es wehten verschiedene Brisen, die das Wasser umherwirbelten. Die am stärksten Bemalten mussten traurig mit ansehen, wie ihre Streifen abgewaschen wurden.
Von dem Tier ging ein schwach rosafarbenes Leuchten aus. Wie es da so reglos in seinem Blätterbett lag, war es ein recht gruseliges Ding. Sie schauten lieber nicht hin.
Da erblickte jemand die Feuer des Zeltlagers und meldete es. Gleichzeitig ertönte ein Pfiff: Die anderen hatten sie ebenfalls gesichtet. Islai persönlich eilte ihnen mit Pagen, Sonnenschirmen und Papierlaternen entgegen, um sie willkommen zu heißen. Hual stieg ab, und sie umarmten sich überschwänglich.
«Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, bei dir vorbeizuschauen, um ein wenig zu plaudern.»
«Du beschämst mich! Ich hätte dir zuvorkommen müssen, mein lieber, lieber Hual.»
«Wie geht es dir?», fragte der Besucher.
«Wie geht es dir?», erwiderte der Gastgeber.
Sie begaben sich zu den Zelten, der Tross folgte.
Islais Leute wurden vom Dunkelgelb des Feuers erhellt, dessen Widerschein durch die Zeltdächer drang und die Tropfen aufleuchten ließ, die darauf zerstäubten. Kaum waren sie im Trockenen, klappten sie die Regenschirme zusammen und rissen sich mit jähem Ruck die rindenen Umhänge vom Leib. Die anderen zündeten weitere Feuer an und bereicherten das Abendessen um den Proviant, den sie als Geschenk mitgebracht hatten. Schnell hatten sie sich verbrüdert. Sie hatten Durst mitgebracht, die Getränke flossen.
Hual nippte an seinem Glas, konnte aber nicht schmecken, was es war. Lotosblütencidre. Als er es erfuhr, nahm er ein anderes Glas. Blumengetränke machten ihm Angst, weil er glaubte, sie raubten ihm die Manneskraft.
Plötzlich fasste er sich an die Stirn und schnalzte mit den Fingern.
«Das hätte ich beinahe vergessen. Ich habe dir ja ein Geschenk mitgebracht.»
Er schickte zwei Krieger los, um es zu holen. Nun tat Islai empört.
«Du hättest dir keine Umstände machen dürfen! Vielmehr wäre es an mir gewesen…»
«Nicht der Rede wert, eine Lappalie, wir haben es irgendwo gefunden, und da wir sowieso kommen wollten…», sagte Hual mit einem boshaften Lächeln der Vorfreude.
Seinem Verwandten wie dem ganzen Hof verschlug es die Sprache, als die Männer den glatten, rosafarbenen Kadaver hereintrugen. Und selbst Hual fühlte sich, als er den Blick von ihren verzückten Mienen wandte, wie in Trance. Die Träger betraten den von den Laternen erleuchteten Raum, und der Fisch bildete auf eine andere Weise einen Kontrast zu ihnen, die matte Oberfläche gegen ihren fettigen Glanz. Zum Teil kam der Effekt durch ihre Ungeschicklichkeit zustande: Einen unregelmäßigen Zylinder, der so groß, schwer und biegsam war wie dieser, konnte man nur schwer tragen.
Als der stille Zauber sich löste, brach ein Sturm von Rufen und Kommentaren los.
«Es ist eine Meeräsche!», behauptete sachkundig ein Fischer.
«Es ist eine Manati-Königin!», sagte ein anderer.
Unbewusst suchten sie nach weiblichen Namen, sosehr ähnelte der Fisch auf den ersten Blick einer Frau. Und das Erste, was Islai sagte, war:
«Ich dachte, ihr brächtet mir eine tote Gefangene.»
«Ich zweifle nicht daran, dass dir das besser gefallen hätte.»
«Ach was! Gefangene hat man mir schon hundertfach geschenkt, aber das hier…»
Er fand keine Worte. Er befahl, den Fisch zu reinigen und zu braten. Doch zuvor sollten zwei seiner geschicktesten
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