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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
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Schlachter ihm die Haut abziehen, was sie vor aller Augen in zwei Minuten erledigten. Es war faszinierend, ihren Handgriffen zu folgen. Als sie Islai die Haut überreichten, entpuppte sie sich als eine schwere, weiche Seide von erlesenstem Rosa. Er konnte seinen Blick nicht von dem neidischen und betrübten Ausdruck lösen, der sich auf Huals Gesicht abzeichnete, und in einem Anfall von Großmut bot er ihm die Hälfte an. Er ließ sich auch nicht von dessen lauen Protesten abhalten und befahl, die Haut an Ort und Stelle in der Mitte durchzuschneiden.
    «Ich nehme sie an», sagte Hual. «Ich werde mir eine Weste machen lassen.»
    «Und ich ein Gürtelset.»
    Sie waren so aufgeregt, dass sie soffen wie die Robben, und alle Welt tat es ihnen gleich. Aufgespießt an einem Drehgrill, war das Tier bald gar. Den Kaziken wurde zuerst aufgetragen. Das Fleisch war zart, aber fade, was Islai jedoch nicht davon abhielt, alle Loblieder anzustimmen, die ihm auf die Zunge kamen, und beim Kauen die Augen zu verdrehen. Danach aßen sie Schnecken.
    Islai war ein leidenschaftlicher Musikliebhaber (und Komponist). Ohne ein ganzes Orchester aus Triangeln, Glocken, Kastagnetten, Harfen und sonstigen Instrumenten, von denen er einige selbst entworfen und perfektioniert hatte, reiste er nirgendwo hin. Er besaß zum Beispiel zwei Meter lange Trompeten, die einen unbeschreiblich schrillen Ton hervorbrachten. Diesmal jedoch umgab er sich mit unaufdringlicher, nicht wahrnehmbarer Musik. Während des Essens erklang sie die ganze Zeit, war aber wegen der Gespräche nicht zu hören. Und selbst wenn alle schwiegen, genügte das Murmeln des Regens, um das Konzert zu übertönen.
     
     
    Ema verbrachte zwei Jahre unter den Indianern, zwei Jahre des Umherziehens oder der Sesshaftigkeit, an verschiedenen Höfen, manchmal den Launen irgendeines Möchtegernkönigs ausgeliefert, manchmal abseits in den kleinen Gesellschaften, zu denen die Jugendlichen sich zusammenschlossen, unangreifbar durch die Ambiguität der Souveränität, stets auf Reisen. Vielleicht war es der entscheidende Moment in ihrem Weg zum Erwachsensein. Sie erfuhr, welche Details für die Welt der Indianer am bezeichnendsten waren: die unauflösliche und immer währende Verbindung zwischen Etikette und Zuchtlosigkeit. Etikette der Zeit, Zuchtlosigkeit der Ewigkeit. Vision und Erholung. Das schläfrige Plätschern des Wassers. Dafür lebten sie.
    Könige und Untertanen versetzten sich gegenseitig in Ekstase mit ihrem aufgeblasenen Auftreten und der Bestürzung, die damit einherging. Alles war profan, aber der Ernst schien das Alltägliche in die Ferne zu rücken. Alles opferten sie für das Privileg, das Leben unangetastet zu lassen. Arbeit verabscheuten sie, weil sie zu einem Ergebnis führen konnte. Ihre Politik war eine Sammlung von Bildern. Sie wussten, dass sie menschlich waren, aber auf merkwürdige Weise. Das Individuum war niemals menschlich: Die Kunst hinderte es daran.
    Die Zeit vertrieben sie sich mit Rauchen, Trinken und Malen. Im Sommer reiften die Früchte des Orleansbaums, mit denen sie sich bemalten. Die Zeichnungen waren nicht wetterfest: Einmal des Nachts dem Tau oder der Reibung eines Koitus ausgesetzt, und schon waren sie weggewischt.
    Sie sprachen verschiedene, aber ähnliche Sprachen. Durch das viele Reisen hatten sie sich vermischt. Offenbar gab es eine Hauptsprache für die Diplomatie und den kaiserlichen Handel. Aber niemand war sich sicher, woher sie kam. Pincén, der mächtigste unter den derzeitigen Kaziken, sprach der Legende nach das «passive Esperanto» der Bettler.
    Was den Schauplatz der Reise betraf, so handelte es sich um den Wald von Pillahuinco, der sich damals über Tausende von Meilen Richtung Westen erstreckte und der ganzen Familie wilder Kulturen Schutz bot. Ihre Sonnenzeltlager schlugen sie auf Lichtungen auf oder in den Pampas, Ödnissen, Sternwarten. Manchmal geriet die Gesellschaft, mit der Erna reiste, auf baumlose Ebenen. Die Indianer, die dort lebten, waren anders, schwachsinniger. Unter den Stämmen, die sie besuchte, war der des Kaziken Osorito in der Heidelandschaft von Cuchillo-Co der bemerkenswerteste.
    Mit Hual war sie lediglich einen flüchtigen Frühling zusammen, den sie größtenteils auf der Insel Carhué verbrachten. Es war eine ruhige, fröhliche Zeit. Hual behauptete jeden Augenblick aufs Neue seine Macht. Der Orleansbaum, der in seiner Heimat wie Unkraut wucherte – in den beliebtesten Sorten schwarz-rot und Scharlach –,

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