Die Meute
Sich nachträglich darüber den Kopf zu zerbrechen, hat keinen Sinn.«
Die Diskussion hätte wohl noch längere Zeit gedauert, wenn Frieda nicht von ihrem Geschirr aufgeblickt und plötzlich ein blutverschmiertes Gesicht gesehen hätte, das sich gegen das Küchenfenster preßte.
»Mein Gott!« stieß sie mit tonloser Stimme hervor.
»Oh, mein Gott!« Ein Porzellanteller entfiel ihrer Hand und zersplitterte klirrend am Boden.
Das Gesicht verschwand wieder unter dem Fenstersims. Eine blutige Hand suchte tastend nach einem Halt und ließ rote Spuren an der Scheibe zurück.
Diane sah auf, als der Teller zerbrach. Sie sah das Gesicht mit den schreckensweit aufgerissenen Augen noch, ehe es wieder verschwand.
Auch Larry und Tom hatten das Gesicht bemerkt. Larry würgte nur ein tonloses »Jesus« hervor.
Tom war als erster an der Küchentür und rannte hinaus, gefolgt von Larry. Direkt unter dem Fenster war die Gestalt zusammengebrochen. Langes, blutverschmiertes, dunkles Haar bedeckte teilweise das Gesicht, so daß Frieda ihre Freundin erst nach Sekunden erkannte. »Cornelia?« fragte sie. »Corny?«
Cornelia Cornwall öffnete mühsam die Augen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stieß sie ein einziges Wort hervor.
»Hunde.«
Mit vereinten Kräften brachten sie Larry und Tom ins Haus. Hinter ihnen verriegelte Frieda die Tür. Während sie ein sauberes Tuch befeuchtete, legten ihr Mann und ihr Sohn die blutüberströmte Frau auf die Wohnzimmercouch.
Das Blut lief aus zwei Wunden, von denen sich eine an ihrer Stirn, die andere oberhalb des Haaransatzes befand. Tom drückte das feuchte Tuch auf ihre Verletzungen. »Corny«, sagte er leise und doch eindringlich. »Ich bin es, Tom. Was ist passiert? Wo ist Charlie?«
Sie sah ihn verständnislos an. »Hunde«, wiederholte sie.
»Ich weiß«, flüsterte Tom. »Ich weiß, Corny. Aber du mußt mir sagen, wo Charlie ist.«
Sie lächelte. »Charlie kommt aus der Stadt.« Sie überlegte. Das seltsame Lächeln schwand aus ihrem Gesicht, und sie schien das Geschehene wieder vor sich zu sehen. »Die Hunde - die Hunde...« Plötzlich richtete sie sich auf und schlang den Arm um Toms Hals.
»Helft Charlie. Bitte, Tom. Helft ihm.« Ihre Stimme klang flehend. »Helft Charlie.« Und plötzlich schrie sie. »Helft ihm! Helft ihm! Sie tun ihm weh! Nein, nein!« Mit der freien Hand schlug sie auf unsichtbare Angreifer ein.
Tom packte sie fester. »Beruhige dich, Corny. Wir werden ihm helfen.«
Schluchzen schüttelte den Körper der Frau.
Tom warf Frieda einen bittenden Blick zu, und sie löste ihn ab und bemühte sich ihrerseits um Cornelia.
»Wir müssen wohl zu ihm«, sagte Tom besorgt zu Larry.
Larry nickte. »Was meinst du?« fragte er und wies auf das Gewehr an der Wand.
»Ich möchte eigentlich nicht«, antwortete sein Vater. Trotzdem griff er nach der Winchester. Die Schachtel mit den Patronen stand noch auf dem Kaminsims, und Tom steckte sich eine Handvoll davon in die Tasche.
»Ich brauche auch eine Waffe«, sagte Larry.
Tom sah sich um, bis sein Blick auf den langen eisernen Schürhaken fiel. »Hier«, sagte er und reichte ihn Larry. »Nimm das.«
Der Schürhaken war fast einen Meter lang. Ein wenig unterhalb der Spitze hatte er einen kurzen, scharfen, goldfarbenen Sporn. Larry schwang den Schürhaken durch die Luft. »Der ist in Ordnung.«
Diane hatte sich in eine Ecke geflüchtet. Beim Anblick Cornelias hatte sie der ganze Schrecken dessen, was am Nachmittag hätte passieren können, gepackt. Jetzt trat sie zu ihrem Mann. »Du gehst mir da nicht hinaus«, sagte sie. Es klang wie ein Befehl.
Ohne auf sie zu achten, schlüpfte Larry in seinen schweren Ski-Parka.
»Geh nicht hinaus, Larry«, wiederholte Diane. »Ruf die Polizei oder andere Leute von der Insel, die sich hier auskennen. Du weißt nicht, was da draußen los ist.«
»Gehen wir«, sagte Larry zu seinem Vater.
Diane trat ihnen in den Weg. »Bitte, Larry, Wir leben doch nicht einmal hier.«
Sein Blick ging durch sie hindurch.
»Ich lasse dich nicht fort.«
»Geh uns aus dem Weg, Diane«, forderte er sie auf.
Sekundenlang starrten sie einander an. Die Liebe, der Haß, das Auf und Ab in einer zehnjährigen Ehe drängten sich in wenigen Augenblicken zusammen. Und beide begriffen, daß ihr Zusammenleben nie mehr so sein würde wie vorher. Er forderte Rechte für sich zurück, die er aus Liebe bisher ihr zugestanden hatte.
Sie trat zur Seite.
»Leg die Kinder zu Bett. Vergewissere dich, daß alle
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