Die Meute
jetzt aufwühlten, würde Larry niemals verstehen können. »Begreifst du denn nicht«, flüsterte er mit halberstickter Stimme. »Es ist meine Schuld.« Mit schmerzlicher Miene schloß er die Augen. »Meine Schuld«, sagte er noch einmal.
Dann weinte der alte Mann.
Larry nahm ihm die Winchester ab und wartete. »Wir müssen nach Hause zurück«, sagte er schließlich.
»Schon gut«, erwiderte sein Vater.
Als sie das Haus der Cornwalls wieder erreichten, überlegte Larry kurz, ob sie telefonisch Hilfe herbeirufen sollten, verwarf den Gedanken jedoch. Das Wichtigste war, daß sie so schnell wie möglich wieder nach Hause zurückkehrten. Außerdem bezweifelte er, ob sein Vater der Belastung des Wartens vor Cornwalls Haus jetzt noch gewachsen sein würde.
Tom spürte die eisige Kälte nicht, die in ihm hochkroch. Immer wieder hörte er Charlie Cornwalls Stimme. ,Wenn irgend etwas passiert, dann halten wir uns an dich.’ Nun war es passiert. Wer würde der nächste sein? Er hatte einen Fehler begangen, und jetzt war sein bester Freund tot. Auch die Hunde würden jetzt sterben müssen. Er würde sie jagen und töten. Die Bürde der Schuld konnte das freilich nicht von ihm nehmen.
Sie hatten etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sie zum erstenmal das grausige Heulen hörten.
Diane hatte die Anweisungen ihres Mannes genau befolgt. Die Kinder schliefen bereits. Mit Friedas Hilfe hatte sie Cornelia in das andere Schlafzimmer geschafft. Alle Fenster und Türen waren verschlossen. Während Frieda sich weiter bemühte, Cornelia zu beruhigen, holte Diane ihr Kosmetikköfferchen und manikürte sorgfältig ihre Nägel.
Cornelias unzusammenhängendes Gestammel schien ihr keinen Sinn zu ergeben. Charlie beim Einkaufen. Charlie im Auto. Hunde. Irgendein Jahrestag. Keine Enkelkinder. Hunde vor der Haustür. Charlie in seinem Auto. Einmal fuhr Cornelia plötzlich hoch und stieß einen Schrei aus.
Diane verließ das Zimmer. Sie ging zum Fenster am Ende des Korridors und schaute nach draußen. Trotz ihres inneren Aufruhrs war sie äußerlich ruhig. Ihr Mann war noch mit jeder kritischen Lage fertiggeworden, dachte sie. Freilich nur in der Stadt. In der Welt, die er kannte. Hier war er fast ein Fremder. Sie lehnte sich gegen das Fenster und wartete. Die häßlichen, verwilderten Hunde kamen ihr in den Sinn. Dreckige, scheußliche Biester. Aber konnten sie einen Menschen töten?
Minutenlang hatte sie so gestanden, als plötzlich das Fell eines Tieres ihr Bein berührte. Sie unterdrückte gerade noch einen Entsetzensschrei. Es war Dopey. Sie beugte sich nieder und streichelte ihn, nervöser als zuvor.
Die Hunde waren noch ein gutes Stück entfernt, kamen aber rasch näher. Larry beschleunigte seinen Schritt. Sein Vater hatte Mühe, ihm zu folgen. Der graue Schäferhund führte seine Rotte über die Felder. Eben noch hatten die Hunde gefressen und friedlich geruht. Dann war das hochempfindliche Geruchszentrum des Schäferhunds aktiviert worden. Seine Nase hatte einen vertrauten Geruch aufgenommen. Sein Gehirn übersetzte die Botschaft — der Feind war nahe. Der Schäferhund erinnerte sich nicht an den Mann, der seine Gefährtin getötet hatte. Doch dieser Geruch tat ihm weh. Da war der Feind. Er mußte sterben. So machte sich die Meute an die Verfolgung von Thomas und Larry Hardman.
Diane kehrte ins Schlafzimmer zurück und setzte sich zu den beiden älteren Frauen. Cornelia hatte sich jetzt beruhigt. Irgendwoher glaubte Diane Hundegebell zu hören. Überreizte Phantasie, dachte sie. Dennoch durchfuhr sie ein Schauder.
Trotz der Kälte war Larry in Schweiß gebadet. Tom vermochte ihm nicht mehr zu folgen und blieb immer weiter zurück. Die kläffenden Hunde waren noch näher gekommen. Sie folgten ihnen, daran konnte kein Zweifel bestehen. Dennoch empfand Larry keine Angst. Vielmehr erfüllte ihn die klare, kalte Nacht mit einem unerklärlichen Glücksgefühl.
Das Hundegekläff drang erst in Toms Bewußtsein, als er noch gut einen halben Kilometer vom Haus entfernt war. Zunächst erschreckte es ihn, und er versuchte schneller zu laufen. Doch dann begann er nachzudenken, und er verlangsamte seinen Schritt und blieb schließlich stehen. Es war Zeit, sich diesen Tieren entgegenzustellen und sie zu töten. Vor seinem geistigen Auge sah er Charlies zerfetzten Körper. Jetzt würde er dieser wilden Rotte entgegentreten, diesen barbarischen Tieren, die Menschen verstümmelten und töteten. Und er würde sie
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