Die Meute
offene Fenster sprang.
5.
Die braune Airedale-Hündin landete auf der Kunststoffplatte der Anrichte und sprang von dort aus sofort Larry an.
Er hatte Glück. Sein Faustschlag traf das Tier seitlich am Kopf und schickte es zu Boden. Aber noch ehe er aufatmen konnte, waren zwei weitere Hunde, ein schwarzer Boxer und ein braun-weiß-gefleckter Dalmatiner, durch das Fenster geklettert. Wie wild schlug Larry um sich. Irgendwie gelang es ihm, sich die Tiere vom Hals zu halten.
»Mach das Fenster zu!« schrie er Diane an. »Mach das verdammte Fenster zu!«
Diane wollte es tun, aber ihre Glieder gehorchten ihr nicht. Sie stand da wie versteinert, nicht zu der geringsten Bewegung fähig.
Langsam drängten die Hunde Larry zurück.
Im ersten Stock erwachte Josh und kroch aus dem Bett. Er ließ seine Schwester allein und schlich zur Treppe.
Die Airedale-Hündin hatte Larrys Parka zu fassen bekommen und riß ihn auf. Sofort sprang sie Larry noch einmal an, schnappte wütend nach seinem Gesicht.
Frieda, die den Lärm unter sich hörte, drückte Cornelias Kopf an ihre Brust und betete.
Der Boxer und der Dalmatiner drangen weiter auf Larry ein, der sich jedoch in eine Ecke zurückgezogen hatte, so daß ihn die Hunde nicht mehr gleichzeitig angreifen konnten.
Verzweifelt tastete er im Spülbecken nach irgendeiner Waffe. Plötzlich hatte er den Griff eines Tranchiermessers in der Hand. Als ihn die Airedale-Hündin von neuem ansprang, stieß er mit einer blitzartigen Bewegung das Messer nach ihr.
Die Klinge drang tief in den Bauch des Tieres ein. Ein Blutstrahl spritzte hervor. Die Hündin landete flach auf der Seite. Die Klinge des abgebrochenen Messers ragte nur wenig hervor. Ihr anfangs heftiges Keuchen verebbte rasch.
Die anderen Hunde schienen zu spüren, daß sich das Blatt gewendet hatte. Nach kurzem Zögern sprangen sie auf den Arbeitstisch und dann zum Fenster hinaus.
Josh rutschte fast auf dem dünnen Blutfilm aus, der den Küchenboden bedeckte. Verständnislos sah er sich um, rannte dann zu seiner Mutter und schlang die Arme um ihre Beine. Endlich ließ Dianes Erstarrung nach. Sie zog ihren Sohn an sich und begann hilflos zu schluchzen.
Larry bemerkte nicht, daß Diane weinte. Sein Gehirn war noch nicht in der Lage, nach dem furchtbaren Erlebnis neue Informationen zu verarbeiten. Seine Kleidung war blutbefleckt – befleckt mit dem Blut seines Vaters, dem der Hunde und seinem eigenen. Mit einem ächzenden Laut sackte er in eine sitzende Position und verbarg den Kopf zwischen den Knien.
Es war Sommer im Central Park. Er war mit Josh und Marcy auf der Schafswiese und ließ einen silbernen Drachen mit langem Schwanz fliegen. Der Wind trug ihn hoch über die anderen Drachen hinaus, bis er nur noch ein kleiner Fleck am blauen Himmel war. Dopey tollte übermütig mit den Kindern herum. Über allem schien warm und golden die Sommersonne. »Höher, Daddy!« schrie Marcy vergnügt. »Laß ihn noch höher fliegen!«
»Larry?« Die Stimme kam wie aus weiter Ferne. Er erkannte sie nicht. »Larry? Bitte, wach auf!« Er sah die fünf Buchstaben seines Namens durch eine schwarze Leere schweben. Sie waren blau mit weißen Rändern und wurden abwechselnd dunkel und hell. »Larry! Larry, bitte! Bitte, wach auf!« Ohne es richtig zu wollen, öffnete er die Augen. Das Licht blendete ihn, und er schloß sie wieder.
»Mach die Augen auf, Larry!«
Er öffnete sie von neuem. Neben ihm kauerte eine Frau. Ihr Atem ging warm über seine kalte Haut. Sie hatte ein rundes Gesicht, aber ihre Augen waren geschwollen. Diane. Seine Frau. Die Zusammenhänge blieben ihm unklar.
»Larry?«
Erst jetzt verstand er. Es war ihre Stimme.
Er bemühte sich, die Augen ein wenig weiter zu öffnen. Was wollte sie?«
»Larry?«
Jeder Atemzug tat ihm weh. An vielen Körperstellen spürte er einen brennenden Schmerz.
Diane tupfte sein Gesicht mit einem angefeuchteten Handtuch ab. Das tat gut. Aber warum saß er hier?
Sein Gedächtnis war leer. Nichts war geschehen. Die Zeit hatte jede Dimension verloren. »Was ist passiert?« fragte er.
»O Larry!« stieß Diane noch hervor, ehe Tränen ihre Stimme erstickten. Er versuchte, sich zu, besinnen. Bruchstücke der vergangenen Nacht kehrten in sein Gedächtnis zurück. Die Hunde. Sie hatten ihm Angst eingejagt. Ein Schauder durchfuhr ihn. Er konzentrierte sich. Der Nachmittag fiel ihm ein. Marcy hatte im Hof gespielt und – und die Hunde. Hunde? Die Meute. Er sah sie deutlich. Eines der Tiere
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