Die Mglichkeit einer Insel
ein interessantes Angebot gemacht, anscheinend der Sänger einer Rockband, aber auch damit hatte es seit dem Tod von Fox keine Eile mehr, ich konnte genausogut an Ort und Stelle sterben und an seiner Seite begraben werden. Ich saß in der Bar des Lutetia, und nach meinem dritten Alexandra erschien mir dieser Gedanke wirklich ausgezeichnet: Nein, ich würde das Haus nicht verkaufen, ich würde es leer stehen lassen und sogar testamentarisch verfügen, daß es nie verkauft werden dürfe, ich würde etwas Geld für den Unterhalt beiseite legen und die Villa in eine Art Mausoleum verwandeln, ein Mausoleum für miese Dinge, denn was ich dort erlebt hatte, war insgesamt ziemlich mies gewesen, aber trotzdem wollte ich ein Mausoleum. »Ein mieses Mausoleum …«: Ich wiederholte den Ausdruck halblaut und spürte, wie in mir mit der Wärme des Alkohols eine hämische triumphierende Freude aufkam. Unterdessen würde ich ein paar Nutten einladen, um meine letzten Augenblicke etwas zu versüßen. Nein, keine Nutten, sagte ich mir nach kurzer Überlegung; ihre Dienstleistungen waren einfach zu mechanisch, zu schlecht. Ich könnte statt dessen den kleinen Miezen, die sich am Strand bräunen ließen, ein Angebot machen; die meisten würden ablehnen, aber manche würden vielleicht darauf eingehen, ich war mir jedenfalls sicher, daß es sie nicht schockieren würde. Die Sache war natürlich nicht ganz risikolos, sie hatten möglicherweise eine Bande von Kriminellen als Freunde. Ich konnte es auch bei den Putzfrauen versuchen, manche waren gar nicht so schlecht und hatten vielleicht nichts dagegen, sich etwas hinzuzuverdienen. Ich bestellte einen vierten Cocktail und wägte langsam die verschiedenen Möglichkeiten gegeneinander ab, wobei ich den Alkohol im Glas kreisen ließ, ehe mir klar wurde, daß ich vermutlich gar nichts tun würde und jetzt, nachdem Esther mich verlassen hatte, ebensowenig auf die Prostitution zurückgreifen würde, wie ich es nach der Trennung von Isabelle getan hatte, und zugleich wurde mir in einer Mischung aus Bestürzung und Ekel bewußt, daß ich noch immer (wenn auch rein theoretisch, denn ich wußte natürlich, daß für mich alles vorbei war, ich hatte meine letzten Chancen verspielt und mußte jetzt von der Bühne abtreten, den Schlußstrich ziehen, zum Abschluß kommen), ja, daß ich noch immer tief in meinem Inneren trotz besseren Wissens an die Liebe glaubte.
Daniel25,14
Mein erster Kontakt mit Esther31 war überraschend für mich; vermutlich vom Lebensbericht meines menschlichen Vorgängers beeinflußt, rechnete ich mit jemandem, der noch jung war. Sie war von meiner Bitte um Intermediation benachrichtigt worden und schaltete auf den Bildmodus um: Ich sah vor mir eine Frau von Anfang Fünfzig mit ruhigem, ernstem Gesicht, die eine Brille trug; sie saß vor ihrem Bildschirm in einem kleinen gut aufgeräumten Raum, der ihr wohl als Arbeitszimmer diente. Die Ordnungszahl 31, die sie trug, hatte mich schon leicht überrascht; sie erklärte mir, daß alle Nachfahren von Esther1 ihr Nierenleiden geerbt hätten, was bei allen zu einer kürzeren Lebensdauer geführt habe. Sie war natürlich über den Fortgang von Marie23 informiert: Sie war sich auch ziemlich sicher, daß sich eine Gemeinschaft von höher entwickelten Primaten an der Stelle niedergelassen hatte, an der sich einst Lanzarote befunden hatte; dieses Gebiet des Nordatlantiks, teilte sie mir mit, hatte ein bewegtes geologisches Schicksal hinter sich: nachdem die Insel im Verlauf der Ersten Verringerung im Meer versunken war, war sie unter dem Druck erneuter Vulkanausbrüche wieder an die Oberfläche gekommen; zum Zeitpunkt der Großen Dürre war sie dann zu einer Halbinsel geworden, und ein schmaler Streifen Land verband sie den letzten Aufnahmen zufolge mit der afrikanischen Küste.
Im Gegensatz zu Marie23 war Esther31 der Ansicht, daß die Gemeinschaft, die sich in diesem Gebiet niedergelassen hatte, nicht aus Wilden bestand, sondern aus Neo-Menschen, die die Lehre der Höchsten Schwester verworfen hatten. Die Satellitenbilder ließen allerdings einen Zweifel zu: Es konnte sich um Wesen handeln, die durch die GSK verändert worden waren oder auch nicht; doch wie sollten Wesen mit heterotropher Ernährung in einer Umgebung überleben, bemerkte sie, die keinerlei Spur von Vegetation aufwies? Sie war überzeugt, daß Marie23, die damit rechnete, Menschen der alten Rasse zu begegnen, in Wirklichkeit auf Neo-Menschen stoßen würde, die
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