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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Menschen »das noch nicht festgestellte Tier«. Dieses Urteil, das schon auf die Menschen nicht zutraf — jedenfalls weniger als auf die meisten Tierarten —, galt ebensowenig für die Neo-Menschen, die ihnen folgten. Man kann sogar sagen, daß der Charakterzug, der bei uns im Vergleich zu unseren Vorgängern am stärksten ausgeprägt ist, ein gewisser Konservatismus ist. Die Menschen, zumindest die Menschen der letzten Periode, schienen mit großer Leichtigkeit jedem neuen Projekt zuzustimmen, ganz gleich in welche Richtung es ging; die Veränderung als solche war in ihren Augen etwas Positives. Wir dagegen betrachten jede Neuerung mit großer Skepsis und übernehmen sie nur dann, wenn sie in unseren Augen eine eindeutige Verbesserung darstellt. Seit der Genetischen Standard-Korrektur, die aus uns die erste autotrophe Gattung innerhalb des Tierreichs gemacht hat, ist keine Veränderung von vergleichbarem Ausmaß in Angriff genommen worden. Die wissenschaftlichen Instanzen von Central City haben uns zum Beispiel Vorschläge gemacht, um unsere Flugfähigkeit zu entwickeln oder das Überleben in submarinem Milieu zu ermöglichen; sie sind lange, sehr lange diskutiert worden, ehe sie schließlich abgelehnt wurden. Die einzigen genetischen Merkmale, die mich von Daniel2, meinem ersten neomenschlichen Vorgänger, unterscheiden, sind winzige praktische Verbesserungen, die zum Beispiel einen wirksameren Stoffwechsel bei der Aufnahme mineralischer Salze herbeiführen oder die Empfindlichkeit der für den Schmerz verantwortlichen Nervenfasern leicht verringern. Unsere kollektive Geschichte wie auch unser jeweiliges individuelles Schicksal erscheint daher im Vergleich zur Geschichte der Menschen der letzten Periode ausgesprochen unbewegt. Manchmal stehe ich nachts auf, um die Sterne zu beobachten. Klimatische und geologische Veränderungen von großem Ausmaß haben das Aussehen dieser Region wie auch das der meisten Regionen der Welt im Verlauf der letzten beiden Jahrtausende grundlegend gewandelt; der Glanz und die Position der Sterne und ihr Zusammenschluß zu Sternbildern sind vermutlich die einzigen natürlichen Elemente, die seit der Zeit von Daniel1 keinerlei Veränderung erfahren haben. Wenn ich den nächtlichen Himmel betrachte, kommt es manchmal vor, daß ich an die Elohim denke, an jenen seltsamen Glauben, der auf Umwegen schließlich die Große Veränderung ausgelöst hat. Daniel1 lebt in mir weiter, sein Körper hat in mir eine neue Inkarnation erfahren, seine Gedanken sind die meinen, seine Erinnerungen die meinen; sein Dasein setzt sich tatsächlich in mir fort, und zwar viel stärker, als es je ein Mensch, der davon träumte, sich in seinen Nachfahren fortzusetzen, erlebt hat. Mein eigenes Leben jedoch, und daran denke ich oft, ist ganz anders als das, das er gern gelebt hätte.
     
     

Daniel1,27
    Als ich wieder in San Jose war, machte ich weiter, das ist so ziemlich alles, was sich darüber sagen läßt. Für einen Selbstmord verlief die Sache im Grunde genommen recht gut, und mit erstaunlicher Leichtigkeit beendete ich im Juli und im August die Arbeit an meinem Bericht, obwohl die Ereignisse, die ich schilderte, zu den bedeutsamsten und schrecklichsten meines Lebens gehörten. Ich war auf dem Gebiet der Autobiographie als Autor ein Anfänger, strenggenommen war ich gar kein Autor, und das erklärt wahrscheinlich, warum mir im Laufe dieser Tage nie richtig bewußt geworden ist, daß die Tatsache, daß ich schrieb, mir die Illusion vermittelte, die Ereignisse unter Kontrolle zu haben, und so verhinderte, daß ich zu dem wurde, was die Psychiater in ihrem bezaubernden Jargon einen schwierigen Fall nennen. Wie durch ein Wunder ist mir überhaupt nicht klar geworden, daß ich mich am Rand eines Abgrunds bewegte, dabei hätten mich meine Träume warnen müssen. Esther tauchte immer öfter in ihnen auf, immer liebevoller und frivoler, und sie nahmen eine naiv-pornographische Wendung, eine Wendung hin zu authentischen Hungerträumen, die nichts Gutes versprachen. Ab und zu war ich natürlich gezwungen, das Haus zu verlassen, um Bier und Zwieback zu kaufen, im allgemeinen ging ich auf dem Rückweg am Strand entlang, und selbstverständlich begegnete ich nackten Mädchen, sogar sehr vielen: Nachts fand ich sie dann in erschütternd unwirklichen Orgien wieder, die Esther veranstaltete und bei denen ich den Mittelpunkt bildete. Ich dachte immer öfter an die bei Greisen üblichen unwillkürlichen nächtlichen

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