Die Mglichkeit einer Insel
eines Mannes, von dem man nur das Becken sah, halb und sozusagen in aller Ruhe in der Scheide einer etwa fünfundzwanzigjährigen Frau mit langen kastanienbraunen Locken steckte. Alle Fotos dieser Zeitschrift, die sich an »libertäre Paare« richtete, drehten sich mehr oder weniger um das gleiche Thema; warum hatte mich dieses Bild so fasziniert? Die junge Frau, die, auf Knie und Unterarme gestützt, auf dem Boden hockte, hatte das Gesicht der Kamera zugewandt, als sei sie durch diese unerwartete Penetration überrascht, die in einem Augenblick geschah, in dem sie an etwas völlig anderes dachte, zum Beispiel daran, ihren Fliesenboden zu reinigen; sie schien im übrigen angenehm überrascht zu sein, ihr Blick verriet eine naive, unpersönliche Befriedigung, als reagierten ihre Schleimhäute und nicht ihr Verstand auf diesen unvorhergesehenen Kontakt. Ihre Scheide als solche wirkte geschmeidig und weich, wohlproportioniert und gut zugänglich, auf jeden Fall war sie angenehm geöffnet und vermittelte den Eindruck, sich je nach Bedarf leicht öffnen zu können. Diese freundliche, unproblematische, sozusagen auf Förmlichkeit verzichtende Aufnahmebereitschaft war jetzt alles, was ich von der Welt erwartete, wie mir Woche für Woche klar wurde, wenn ich dieses Foto betrachtete; mir wurde gleichzeitig klar, daß es mir nie mehr gelingen würde, sie zu bekommen, ich nicht einmal wirklich den Versuch dazu machte, und daß Esthers Abreise kein schmerzhafter Übergang, sondern das absolute Ende für mich war. Möglich, fast sicher, daß sie inzwischen aus den USA zurückgekehrt war, denn es erschien mir unwahrscheinlich, daß sie als Pianistin Karriere gemacht hatte, dazu verfügte sie weder über das nötige Talent noch die dazugehörige Dosis Größenwahn, sie war im Grunde ein äußerst vernünftiges kleines Wesen. Für mich änderte es sowieso nichts, ob sie zurückgekehrt war oder nicht, das wußte ich, denn sie hatte bestimmt keine Lust, mich wiederzusehen, für sie war die Geschichte mit mir abgeschlossen, und, ehrlich gesagt, war auch für mich die Geschichte mit mir abgeschlossen, allein schon der Gedanke, wieder eine öffentliche Karriere zu beginnen oder, allgemeiner gesagt, eine Beziehung zu meinen Mitmenschen zu unterhalten, war mir inzwischen unerträglich geworden. Esther hatte mich buchstäblich ausgelaugt, meine letzten Kräfte verbraucht, und jetzt war ich ganz einfach am Ende; sie hatte mich glücklich gemacht, mich aber auch, wie ich es von Anfang an gespürt hatte, dem Tod einen Schritt näher gebracht. Diese Vorahnung hatte mich im übrigen nicht zögern lassen, denn es stimmt, daß man seinem Tod begegnen, ihm wenigstens einmal ins Auge blicken muß; das weiß im Grunde jeder von uns und auch, daß es letztlich vorzuziehen ist, wenn der Tod nicht im üblichen Gewand der Langeweile und der Hinfälligkeit daherkommt, sondern wider Erwarten in dem der Lust.
Daniel25,16
Zu Anfang wurde die Höchste Schwester gezeugt, die die Erste ist. Anschließend wurden die Sieben Gründer gezeugt, die Central City errichteten. Die Lehre der Höchsten Schwester hat die Grundlage für unsere philosophischen Anschauungen geschaffen, die politische Organisation der neo-menschlichen Gemeinschaften dagegen verdankt praktisch alles den Sieben Gründern. Doch sie war ihren eigenen Aussagen zufolge nur ein unwichtiger Faktor, der zum einen durch die biologische Entwicklung bestimmt wurde — die funktionelle Autonomie der Neo-Menschen war erhöht worden — und zum anderen durch einen historischen Prozeß, der in den vorherigen Gesellschaften bereits vor langer Zeit begonnen und zur Verarmung der zwischenmenschlichen Beziehungen geführt hatte. Die ausschlaggebenden Gründe für die radikale Trennung unter den Neo-Menschen waren übrigens in keiner Weise zwingend, und alles weist darauf hin, daß sich diese Trennung erst allmählich vollzogen hat, vermutlich im Verlauf mehrerer Generationen. Die totale körperliche Trennung ist in Wirklichkeit nur eine unter mehreren möglichen gesellschaftlichen Formen, die mit der Lehre der Höchsten Schwester vereinbar sind, eine Form, die strenggenommen nicht so sehr eine Konsequenz dieser Lehre ist, sondern eher einer globalen Entwicklung entspricht.
Nachdem es den körperlichen Kontakt nicht mehr gab, verschwand auch die sinnliche Begierde. Ich hatte mich von Marie23 in keiner Weise körperlich angezogen gefühlt — ebensowenig wie von Esther31 natürlich, die nicht mehr in
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