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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Frost kam, würde es Zeit sein, in Richtung Westen aufzubrechen.
    An den folgenden Tagen wagte ich mich weiter in den Wald vor, der den See umgab; unter dem Blätterdach der hohen Bäume wuchs kurzes Gras, das an manchen Stellen von der Sonne beschienen wurde. Ab und zu hörte ich ein Geräusch im Dickicht oder wurde von Fox gewarnt, der ein Knurren von sich gab. Ich wußte, daß die Wilden dort waren und ich durch ihr Gelände ging, daß sie sich aber nicht zu zeigen wagten; die Schüsse jagten ihnen vermutlich panische Angst ein. Zu Recht übrigens: Ich war inzwischen sehr geschickt im Umgang mit meinen Karabinern, verstand es, sehr schnell nachzuladen und hätte ein Blutbad anrichten können. Die Zweifel, die mich gelegentlich im Verlauf meines abstrakten, einsamen Lebens überkommen hatten, waren jetzt wie weggeblasen: Ich wußte, daß ich es mit schädlichen, unglücklichen, grausamen Wesen zu tun hatte. In ihrer Mitte würde ich ganz bestimmt keine Liebe oder deren Möglichkeit finden und keines der Ideale, die den Träumen unserer menschlichen Vorgänger Nahrung gegeben hatten; sie waren nur die Karikatur eines Überbleibsels der übelsten Tendenzen der gewöhnlichen Menschheit, jener Menschheit, die Daniel1 bereits kannte und deren Untergang er ersehnt, geplant und in großem Maße erreicht hatte. Im Verlauf eines Festes, das die Wilden ein paar Tage später veranstalteten, erhielt ich eine weitere Bestätigung dafür. Es war in einer Vollmondnacht, in der mich Fox mit seinem Geheul weckte; der Rhythmus der Trommeln verfolgte mich unentwegt. Ich stieg mit dem Fernglas in der Hand auf den Burgturm. Der ganze Stamm war auf einer Lichtung versammelt, sie hatten ein großes Feuer angezündet und wirkten sehr erregt. Der Anführer saß, wie mir schien, auf einem ausgedienten Autositz und leitete die Versammlung; er trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Ibiza Beach« und ein Paar Stiefel, seine Beine und sein Geschlechtsteil waren unverhüllt. Auf ein Zeichen von ihm wurde die Musik langsamer, und die Stammesmitglieder stellten sich im Kreis auf, um eine Art Arena zu bilden, in deren Mitte die beiden Assistenten des Anführers zwei ältere Wilde brachten, die sie brutal hinter sich herzerrten — es waren die beiden ältesten Stammesmitglieder, die um die Sechzig sein mochten. Sie waren völlig nackt und mit Dolchen mit kurzer breiter Klinge bewaffnet — die gleichen wie jene, die ich in einer Kammer in der Burg gefunden hatte. Der Kampf verlief zunächst in völliger Stille; aber sobald die ersten Blutstropfen flossen, begannen die Wilden zu johlen und zu pfeifen, um die beiden Kontrahenten anzufeuern. Ich begriff sofort, daß es sich um einen Kampf auf Leben und Tod handelte, dazu bestimmt, denjenigen der beiden auszuschalten, der für das Überleben am wenigsten tauglich war; die Kämpfer stachen ohne Rücksicht aufeinander ein, bemühten sich, den anderen im Gesicht oder an empfindlichen Stellen zu treffen. Nach den ersten drei Minuten legten sie eine Pause ein und hockten sich an den entgegengesetzten Enden der Arena auf den Boden, wischten sich das Blut ab und tranken Wasser in großen Schlucken. Der fülligere der beiden schien in Schwierigkeiten zu sein, er hatte viel Blut verloren. Auf ein Zeichen des Anführers hin ging der Kampf weiter. Der Dicke stand taumelnd auf; ohne eine Sekunde zu verlieren, stürzte sich sein Gegner auf ihn und stieß ihm den Dolch ins Auge. Der Wilde stürzte mit blutüberströmtem Gesicht zu Boden, und dann begann das Gemetzel. Mit erhobenem Dolch und lautem Gebrüll stürzten sich die Männchen und Weibchen des Stammes auf den Verletzten, der außer Reichweite zu kriechen versuchte; gleichzeitig setzte das Trommeln wieder ein. Anfangs schnitten sich die Wilden Fleischstücke ab, die sie in der Glut brieten, aber als das Fest immer rasender wurde, gingen sie dazu über, den Leib des Opfers direkt zu verschlingen und sein Blut zu schlürfen, dessen Geruch sie zu berauschen schien. Minuten später waren von dem dicken Wilden nur noch ein paar blutige Reste übrig, die in einem Umkreis von wenigen Metern im Gras herumlagen. Der Kopf, bis auf das ausgestochene Auge unversehrt, lag etwas abseits. Einer der Assistenten hob ihn auf und überreichte ihn dem Anführer, der sich erhob und ihn den Sternen entgegenhielt, wobei die Musik wieder verstummte und die Stammesmitglieder einen unartikulierten Singsang anstimmten und langsam in die Hände klatschten. Ich nahm an, daß es sich dabei

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