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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Endphase der Menschheit nur ein Anzeichen dafür, daß sie den Wunsch hatte, sich selbst den Todesstoß zu versetzen und Schluß mit einem Dasein zu machen, das sie als unangemessen erachtete. Wie dem auch sei, die Befürworter dieser »ökologischen« Bewegungen hatten die Anpassungsfähigkeit der belebten Welt und die Schnelligkeit, mit der sie auf den Trümmern einer zerstörten Welt ein neues Gleichgewicht wiederherstellte, völlig unterschätzt, und meine ersten neo-menschlichen Vorgänger wie etwa Daniel3 und Daniel4 haben erklärt, daß sie mit leichter Ironie zusehen konnten, wie sich auf den ehemaligen Industrieanlagen sehr schnell dichte, mit Wölfen und Bären bevölkerte Wälder ausbreiteten. Es ist auch ziemlich drollig, feststellen zu müssen, daß Milben und andere Insekten zu einem Zeitpunkt, da die Menschen praktisch ausgerottet sind und ihre einstige Macht sich nur noch in wehmütig stimmenden Überresten ausdrückt, eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit entwickelt haben.
    Ich verbrachte eine ruhige Nacht und wachte kurz, vor Tagesanbruch auf. Gefolgt von Fox. drehte ich eine Runde auf dem Wehrgang und sah zu, wie die Sonne über dem See aufging; die Wilden hatten das Dorf verlassen und sich vermutlich ans Ufer zurückgezogen. Anschließend erforschte ich systematisch die ganze Burg und entdeckte dabei zahlreiche, von Menschenhand gefertigte Gegenstände, von denen einige sehr gut erhalten waren. Alle Geräte, die mit elektronischen Bauteilen oder Lithiumbatterien ausgerüstet waren, damit bei Stromausfällen die Daten nicht verloren gingen, waren im Verlauf der Jahrhunderte endgültig unbrauchbar geworden; daher ließ ich Handys, Computer und Palms beiseite. Die Apparate dagegen, die nur mechanische und optische Bauteile besaßen, hatten der Zeit meistens gut widerstanden. Ich spielte eine Weile mit einem Fotoapparat, einer Rolleiflex mit doppeltem Objektiv und einem Gehäuse aus mattem schwarzem Metall: Der Filmtransporthebel ließ sich mühelos bewegen, die Verschlußlamellen öffneten und schlossen sich leise klickend mit einer Geschwindigkeit, die je nach eingestellter Zahl auf dem Wählknopf unterschiedlich war. Wenn es noch Filme und Fotolabors gäbe, hätte ich bestimmt ausgezeichnete Aufnahmen machen können, da bin ich mir sicher. Während die Sonne immer heißer wurde und goldene Spiegelungen auf der Überfläche des Sees hervorrief, sann ich eine Weile über die Gnade und das Vergessen nach; über das, was die Menschheit vor allem ausgezeichnet hatte: ihre technische Erfindungsgabe. Nichts war heute mehr von dem literarischen und künstlerischen Schaffen übriggeblieben, auf das die Menschheit so stolz gewesen war; die Themen, die ihnen zugrunde lagen, hatte jede Relevanz verloren, ihr emotionelles Potential war verpufft. Und auch von den philosophischen und theologischen Systemen, für die sich die Menschen bekämpft hatten, für die sie manchmal gestorben waren und noch öfter getötet hatten, blieb nichts übrig. All das rief bei den Neo-Menschen nicht das geringste Echo mehr hervor, wir sahen darin nur noch willkürliche Hirngespinste verworrener, beschränkter Geister, die unfähig waren, irgendeinen präzisen oder wenigstens halbwegs brauchbaren Begriff zu prägen. Die technischen Errungenschaften des Menschen dagegen flößten noch heute Respekt ein: In diesem Bereich hatte der Mensch sein Bestes gegeben, darin hatte er sich am stärksten selbst verwirklicht und von Anfang an eine funktionale Perfektion erzielt, der die Neo-Menschen nichts Bedeutsames hinzufügen konnten.
    Wie dem auch sei, meine eigenen technischen Bedürfnisse waren äußerst bescheiden; ich begnügte mich mit einem starken Fernglas und einem Messer mit breiter Klinge, das ich mir hinter den Gürtel schob. Schließlich war es ja möglich, daß ich im weiteren Verlauf meiner Wanderung, falls ich sie tatsächlich fortsetzen sollte, gefährlichen wilden Tieren begegnete. Am Nachmittag türmten sich Wolken über der Ebene auf, wenig später rückten lange, schwere Regenwände heran, und dicke Tropfen fielen mit lautem Prasseln auf das Pflaster des Burghofs. Ich ging kurz vor Sonnenuntergang nach draußen: Die Wege waren aufgeweicht und unbegehbar; da begriff ich, daß der Herbst den Sommer ablöste, und gleichzeitig wurde mir klar, daß ich mehrere Wochen, vielleicht sogar mehrere Monate hier bleiben würde; ich mußte den Beginn des Winters abwarten, bis es wieder kalt und trocken wurde. Ich konnte jagen,

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