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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Großziehen von Sprößlingen verbunden war, zu ertragen. Eine solch zwanglose Einstellung mußte einfach Schule machen.
     

Daniel24,5
    Da ich das Leiden der Menschen kenne, nehme ich an der Auflösung teil, sorge dafür, daß wieder Ruhe einkehrt. Wenn ich einen Wilden erlege, der kühner als die anderen ist und zu lange in der Nähe des Elektrozauns verweilt — häufig handelt es sich dabei um ein Weibchen mit schon erschlafften Brüsten, das sein Junges mit bittender Geste hochhält —, habe ich das Gefühl, eine notwendige, legitime Handlung zu vollziehen. Die Tatsache, daß unsere Gesichter identische Züge haben — was um so auffälliger ist, da die meisten Wilden, die in dieser Gegend umherirren, spanischer oder maghrebinischer Abstammung sind —, ist für mich ein untrügliches Zeichen dafür, daß sie zum Tode verurteilt sind. Das Menschengeschlecht wird verschwinden, muß verschwinden, damit die Worte der Höchsten Schwester in Erfüllung gehen können.
    Das Klima im Norden von Almeria ist mild, es gibt nur wenige große Raubtiere; das ist vermutlich der Grund dafür, daß die Anzahl der Wilden noch relativ hoch ist, auch wenn sie ständig abnimmt — vor einigen Jahren habe ich sogar mit Entsetzen eine Herde von mindestens hundert Individuen gesehen. Meine Korrespondenten aus allen Teilen der Welt bezeugen das Gegenteil: Im großen und ganzen sterben die Wilden aus; in zahlreichen Gegenden ist ihre Präsenz schon seit mehreren Jahrhunderten nicht mehr gemeldet worden; manche halten daher ihre Existenz für einen Mythos.
    Es gibt keine Begrenzung im Reich der Intermediären, aber manche Dinge stehen fest. Ich bin das Tor. Ich bin das Tor und der Hüter des Tores. Mein Nachfolger wird kommen; er muß kommen. Ich halte die Stellung, um die Ankunft der Zukünftigen zu ermöglichen.
     
     

Daniel1,6
    »Es gibt ausgezeichnetes Spielzeug für Hunde.«
    Petra Durst-Benning
    Die Einsamkeit zu zweit ist die Hölle, auf die man sich einläßt. Im Zusammenleben gibt es oft schon von Anfang an gewisse Unstimmigkeiten, über die man stillschweigend hinwegsieht, weil man in seiner Begeisterung davon überzeugt ist, daß die Liebe letztlich alle Probleme regeln wird. Diese unausgesprochenen Probleme werden allmählich größer, bis sie ein paar Jahre später zum Ausbruch kommen und die Möglichkeit, weiterhin zusammenzuleben, endgültig zerstören. Von Anfang an hatte Isabelle eine Vorliebe dafür, daß ich sie von hinten nahm; jedesmal wenn ich etwas anderes versuchte, ging sie zunächst darauf ein und drehte sich dann mit einem halb unterdrückten, verlegenen Lachen um, als sei es ungewollt. Während dieser ganzen Jahre hatte ich diese Vorliebe auf eine anatomische Besonderheit zurückgeführt, auf eine spezifische Schräglage ihrer Scheide oder was weiß ich, jedenfalls auf irgend etwas, das Männer selbst bei bestem Willen nicht verstehen können. Als ich eines Tages, etwa sechs Wochen nach unserer Ankunft, mit ihr schlief (ich penetrierte sie wie gewöhnlich von hinten, aber in unserem Schlafzimmer hing ein großer Spiegel), stellte ich fest, daß sie kurz vorm Orgasmus die Augen schloß und sie erst lange danach wieder öffnete, als alles vorbei war.
    Ich dachte die ganze Nacht darüber nach, während ich zwei Flaschen spanischen Brandy leerte, der geradezu abscheulich schmeckte: Ich hielt mir noch einmal alle unsere Liebesszenen vor Augen, unsere innigen Umarmungen, all die Momente, die uns vereint hatten, und als mir klar wurde, daß sie jedesmal den Blick abgewandt oder die Augen geschlossen hatte, begann ich zu weinen. Isabelle ließ sich zum Orgasmus bringen, brachte mich zum Orgasmus, aber den Orgasmus selbst mochte sie nicht und auch nicht dessen Anzeichen — bei mir nicht und vermutlich noch weniger bei sich selbst. Alles paßte zusammen: Jedesmal wenn ich gesehen hatte, daß sie vor dem Ausdruck plastischer Schönheit in Entzücken geriet, handelte es sich dabei um ein Gemälde von Raphael und vor allem von Botticelli: manchmal zärtliche, aber oft kühle und immer sehr ruhige Szenen; nie hatte sie meine grenzenlose Bewunderung für El Greco verstanden und sich nie für die Ekstase begeistern können, daher weinte ich heftig, weil meine Vorliebe für das Animalische und die Fähigkeit, mich Lust und Ekstase hemmungslos zu überlassen, die Seiten waren, die ich an mir am meisten schätzte, während ich für meine Intelligenz, meinen Scharfsinn und meinen Humor nur Verachtung übrig hatte. Nie

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