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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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geschrieben. Grausamkeit und Mitleid sind zwei Gefühle, die natürlich unter den Bedingungen absoluter Einsamkeit, unter denen sich unser Leben abspielt, kaum noch Sinn haben. Einige meiner Vorgänger wie etwa Daniel13 drücken in ihrem Kommentar eine seltsame Nostalgie über diesen doppelten Verlust aus; doch dann verschwindet auch diese Regung und läßt nur eine Neugier zurück, die immer sporadischer wird; heute kann man sagen, daß sie, wie alle meine Kontakte in unserem Netz bezeugen, praktisch erloschen ist.
     
     

Daniel1,5
    »Ich entspannte mich
    mit etwas Hyperventilation;
    aber trotzdem, Barnabé, konnte ich nicht umhin,
    an die großen Quecksilberseen
    an der Oberfläche von Saturn zu denken.«
    Captain Clark
    Isabelle arbeitete noch drei Monate, ehe ihre Kündigung wirksam wurde, und die letzte Nummer von Lolita, die unter ihrer Leitung entstand, erschien im Dezember. Bei dieser Gelegenheit wurde in den Büros der Zeitschrift eine kleine Abschiedsfete, genauer gesagt ein Cocktail, für sie veranstaltet. Die Atmosphäre war ein wenig gespannt, da sich alle Teilnehmer dieselbe Frage stellten, ohne daß jemand sie auszusprechen wagte: Wer würde sie als Chefredakteurin ersetzen? Lajoinie tauchte kurz auf, aß drei Blinis und ging nach einer Viertelstunde wieder, ohne einen Hinweis zu geben.
    Wir fuhren am Tag vor Weihnachten nach Andalusien; dann folgten drei seltsame Monate, die wir in fast völliger Einsamkeit verbrachten. Unser neues Haus lag etwas südlich von San Jose in der Nähe der Playa de Monsul. Riesige Granitblöcke umgaben den Strand. Mein Agent hielt es für eine ausgezeichnete Idee, daß ich mich für eine Weile vom Showgeschäft zurückzog; er meinte, es sei gut, ein bißchen Abstand zu gewinnen, um die Neugier des Publikums zu reizen; ich wußte nicht recht, wie ich ihm beibringen sollte, daß ich die Absicht hatte auszusteigen.
    Er war praktisch der einzige, der meine Telefonnummer hatte; ich kann nicht sagen, ich hätte in den Jahren meines beruflichen Erfolgs viele Freunde gewonnen; verloren dagegen hatte ich eine ganze Reihe. Es gibt kein besseres Mittel, sich die letzten Illusionen über die Menschheit nehmen zu lassen, als in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen; dann sieht man, wie sie ankommen, die scheinheiligen Geier. Aber damit sich einem die Augen öffnen können, ist es unerläßlich, dieses Geld auch wirklich zu verdienen: Die richtigen Reichen, die von Geburt an reich sind und nie etwas anderes gekannt haben, als im Reichtum zu leben, scheinen gegen diese Sache immun zu sein, so als hätten sie außer ihrem Reichtum auch einen gewissen unbewußten, nicht reflektierten Zynismus geerbt, der ihnen von vornherein zu verstehen gibt, daß fast alle Leute, denen sie begegnen, kein anderes Ziel verfolgen, als ihnen mit allen erdenklichen Mitteln Geld aus der Tasche zu ziehen; und daher sind sie sehr vorsichtig und verlieren in der Regel nichts von ihrem Kapital. Für Menschen, die in Armut aufgewachsen sind, ist die Situation viel gefährlicher; allerdings war ich selbst gerissen und zynisch genug, um mir die Sache klarzumachen, ich hatte es geschafft, den meisten Fallen aus dem Weg zu gehen; aber Freunde, nein, die hatte ich nicht mehr. Die Leute, mit denen ich in meiner Jugend zusammen war, waren fast alle Schauspieler, zukünftige Versager; aber ich glaube nicht, daß es mir in einem anderen Milieu anders ergangen wäre. Isabelle hatte auch keine Freunde und war vor allem in den letzten Jahren von Leuten umgeben, die davon träumten, ihren Job zu bekommen. Und daher hatten wir niemanden, den wir in unsere prächtige Villa einladen konnten; niemanden, mit dem wir ein Glas Rioja trinken und die Sterne betrachten konnten.
    Was sollten wir also tun? Wir stellten uns diese Frage, während wir durch die Dünen liefen. Leben? Das war genau die Situation, in der die Leute, vom Gefühl ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit erdrückt, beschließen, Kinder zu zeugen; so setzt sich die Menschheit fort, wenn auch immer weniger. Isabelle war ziemlich hypochondrisch, und sie war gerade vierzig geworden; aber auf dem Gebiet der pränatalen Medizin waren große Fortschritte erzielt worden, und ich spürte nur zu gut, daß darin nicht das Problem lag: das Problem war ich. Ich war nicht nur von dem legitimen Ekel erfüllt, der jeden halbwegs normalen Mann beim Anblick eines Babys überkommt; und ich war nicht nur zutiefst davon überzeugt, daß ein Kind so etwas wie ein lüsterner Zwerg mit angeborener

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