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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Grausamkeit ist, der sogleich die schlimmsten Züge seiner Gattung zum Ausdruck bringt und von dem sich die Haustiere in weiser Vorsicht abwenden. Nein, hinzu kam noch ein tief in mir verankertes Entsetzen, ein wahres Entsetzen vor dem endlosen Leidensweg, den das Dasein der Menschen darstellt. Der Säugling ist das einzige Lebewesen, das seine Gegenwart unmittelbar nach der Geburt durch unablässige Schmerzensschreie zum Ausdruck bringt, und zwar weil er leidet, weil er auf unerträgliche Weise leidet. Vielleicht liegt es am Verlust des Haarkleids, der die Haut für Temperaturschwankungen so empfindlich macht, ohne daß dadurch der Schutz vor Parasiten gewährleistet ist; oder vielleicht ist eine anormale nervöse Empfindlichkeit daran schuld, ein Konstruktionsfehler sozusagen. Jeder unparteiische Beobachter kann nur bestätigen, daß der Mensch nicht glücklich sein kann, er absolut nicht für das Glück geschaffen ist und ihn daher kein anderes Los erwarten kann, als Unglück zu verbreiten, indem er das Dasein seiner Mitmenschen ebenso unerträglich macht wie sein eigenes — seine ersten Opfer sind im allgemeinen die Eltern.
    Mit diesen nicht gerade menschenfreundlichen Überzeugungen gerüstet, schrieb ich ein Drehbuch mit dem vorläufigen Titel Das Defizit der Kranken- und Sozialversicherung, das die wesentlichen Elemente des Problems aufgriff. In der ersten Viertelstunde des Films sah man nur, wie Schädel von Babys durch Schüsse aus einem großkalibrigen Revolver unentwegt explodierten — ich hatte Aufnahmen in Zeitlupe und andere im Zeitraffer vorgesehen, also eine richtige Choreographie der Gehirnmasse im Stil von John Woo; anschließend ging es dann etwas ruhiger zu. Die Ermittlungen, die von einem Polizeiinspektor voller Humor, aber mit recht unkonventionellen Methoden durchgeführt wurden — ich dachte an Jamel Debbouze für diese Rolle —, kamen zu dem Schluß, daß ein straff organisiertes Netz von Kindermördern dahintersteckte, die sich von Thesen aus der Szene der Fundamentalökologisten anregen ließen. Die B.A.Z. (Bewegung zur Ausrottung der Zwerge) setzte sich für die Abschaffung der Menschheit ein, die das Gleichgewicht der Biosphäre unwiederbringlich zerstörte, und wollte sie durch eine Bärenart von überdurchschnittlicher Intelligenz ersetzt sehen — parallel dazu waren Laborversuche unternommen worden, um die Intelligenz der Bären zu steigern und ihnen vor allem den Spracherwerb zu ermöglichen (ich dachte an Gerard Depardieu für die Rolle des dominanten Bärenmännchens).
    Trotz dieser überzeugenden Besetzung und trotz meiner Berühmtheit wurde aus dem Vorhaben nichts; ein koreanischer Produzent zeigte sich interessiert, war aber nicht in der Lage, die Finanzierung sicherzustellen. Dieser ungewöhnliche Mißerfolg hätte den Moralisten wecken können, der in mir schlummerte (und zwar im allgemeinen durchaus friedlich): Der Grund für diesen Mißerfolg, für die Ablehnung des Projekts konnte nur darin liegen, daß es noch gewisse Tabus gab (in diesem Fall den Kindermord), die Sache war also noch nicht endgültig gescheitert. Dann ließ der Moralist wieder dem denkenden Subjekt den Vorrang: Wenn es ein Tabu gab, konnte das nur bedeuten, daß tatsächlich ein Problem bestand; im Laufe jener Jahre waren in Florida die ersten childfree zones eingeführt worden, luxuriöse Anwesen für Menschen um die Dreißig ohne Komplexe, die ungerührt zugaben, daß sie das Geschrei, das Sabbern, die Exkremente, kurz gesagt, die Beeinträchtigung der Lebensqualität, die Blagen im allgemeinen mit sich bringen, nicht mehr ertragen konnten. Kindern unter dreizehn war daher der Zugang zu diesen Anwesen ganz einfach untersagt; Kontakthöfe mit Fast-food-Restaurants waren dazu da, die Verbindung mit den Familienangehörigen aufrechtzuerhalten.
    Damit war ein entscheidender Schritt getan: Seit mehreren Jahrzehnten wurde der Geburtenrückgang in der westlichen Welt (der sich jedoch nicht auf den Westen beschränkte — das gleiche Phänomen ließ sich in allen Ländern, ganz gleich aus welchem Kulturbereich, beobachten, sobald ein gewisses Niveau wirtschaftlicher Entwicklung erreicht war) mit einer gewissen Heuchelei bedauert, deren Einhelligkeit sie leicht verdächtig machte. Zum erstenmal erklärten junge, wohlerzogene Leute von relativ hohem wirtschaftlichen und kulturellen Niveau öffentlich, daß sie keine Kinder haben wollten und nicht den Wunsch hatten, den Ärger und die Last, die mit dem

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